The Walking Dead: Nicht tot zu kriegen

20. Oktober 2013

Mit Mitte 30 kann man sich schon manchmal alt fühlen. Zum Beispiel, wenn man im Teamspeak beim Spielen von „League of Legends“ gefragt wird, wie alt man ist und als Antwort ein „Echt jetzt?!“ bekommt. Das hört sich so an, als hätte man eine doppelt so hohe Zahl gesagt. Oder wenn ein Comicheft, das man gefühlt vor drei oder vier Jahren abonniert hat, plötzlich den 10. Geburtstag feiert.

Der Start der Serie als Autorencomic

Das Cover der ersten Ausgabe von "The Walking Dead" im Jahr 2003 (Foto: walkingdead.wikia.com)

Das Cover der ersten Ausgabe von “The Walking Dead” im Jahr 2003 (Foto: walkingdead.wikia.com)

Ich lese schon länger Comics als ich Videospiele spiele und importiere seit etwas mehr als 20 Jahren Comics aus Amerika. Im Keller meiner Eltern stapeln sich Kisten mit „Spider-Man“- und „Batman“-Heften. Aber auch sogenannte Autorencomics, also Serien, deren kreative Leitung bei einem Texter liegen, die aber trotzdem monatlich in Heftform erscheinen und in der Dramaturgie ähnlich funktionieren wie die mainstreamorientierten Superheldenserien, fanden den Weg in meine Sammlung.

So kam ich dann auch an „The Walking Dead“. Den Erfinder Robert Kirkman kannte ich von „Invincible“, das ähnlich wie die „Ultimate“ Reihe von Marvel das Superheldengenre etwas zeitgemäßer interpretiert. In einem Interview mit Kirkman las ich dann zum ersten mal von „The Walking Dead“ und was er damit vor hatte: Es sollte der Zombiefilm sein, der niemals endet. Als alter Fan von Horrorschinken wie „Night of the living Dead“ war ich sofort dabei!

Der Zombie Film, der niemals endet

Wer wie ich Zombiefilme mag, wird wissen, warum mich Kirkmans Idee so fasziniert hat: Zombiefilme sind – wie viele Genrefilme – voller Standardsituationen. Zum Beispiel der erste Zombie, den man trifft – den kann man doch nicht umbringen, weil er wie ein Mensch aussieht, richtig? Oder das gebissene Familienmitglied, das die Überlebenden in zwei Lager spaltet! Erschießen oder nicht erschießen? Unterschiedlich sind meist nur die Parameter, nach denen das Zombieuniversum funktioniert: Wie schnell geht die Verwandlung und wie flott läuft der Zombie danach auf einen zu?  Das Problem ist, dass jeder neue Zombiefilm diese Standardsitationen irgendwie abhaken muss. Dabei werden die daran anknüpfenden Fragen –zum Beispiel wie die Menschheit weltweit mit der Katastrophe umgeht –  meistens nicht beantwortet. Zumindest, wenn man mal von mehrteiligen Serien wie den George A. Romero-Filmen absieht.

Hier ist also das große Potential von „The Walking Dead“: Da weiter erzählen, wo der übliche Zombiestreifen aufhören muss! Die Comics beeilen sich auch, die ersten Standardsituation zu überspringen und kopieren den Trick aus „28 Days later“. Rick Grimes wacht auf, nachdem fast alles vorbei ist. Schnell wird klar: Es geht viel mehr um die Menschen, die in dieser Welt leben, und um die Veränderungen, die notwendig sind, um auf der Erde überhaupt noch existieren zu können.

Erste Verwesungserscheinungen

Einer der Neuzugänge im Comic: "König" Ezekiel mit seinem Tiger Shiva (Quelle: http://walkingdead.wikia.com)

Einer der Neuzugänge im Comic: “König” Ezekiel mit seinem Tiger Shiva (Quelle: http://walkingdead.wikia.com)

„The Walking Dead“ liegt lange Zeit in jedem Monat ganz oben auf dem Stapel der Comichefte, die ich lese. Es ist das Heft, dass ich sofort aus dem Paket nehme und auf der Stelle aufschlagen muss! Dabei ist „The Walking Dead“ eigentlich von Anfang an mindestens so viel Seifenoper wie Horror. Die Konsequenzen der Ereignisse sind genauso wichtig wie die teilweise überraschenden, teilweise schockierenden, aber stets heftigen Schicksalsschläge, mit denen Krikman seine Protagonisten konfrontiert. Die Sympathie für die Figuren spielt dabei natürlich eine große Rolle. Und genau da kommt bei mir die Begeisterung beim Lesen der Comics irgendwann ins Stocken. Krikman ist nicht zimperlich oder zurückhaltend was das Leben und die Körperteile der Menschen angeht, von denen er erzählt. Da verliert schon mal jemand einen Arm oder ein Auge. Und gestorben wird sowieso ständig. Das Problem: Für jeden, der stirbt, braucht Krikman frisches Fleisch. Und je länger die Serie geht, desto schwerer fällt es, Sympathie für die Neuzugänge zu entwickeln.

Die Lösung, die Kirkman für das Comic gefunden hat, ist in gewisser Weise absurd, wenn man sich die Wurzeln des Autors in der Superheldenwelt anschaut, aber auch nicht verwunderlich: Die Charaktere, die dem Leser ans Herz wachsen sollen, sind im Grunde wie Superhelden gestrickt, die sich anlässlich der Zombieapokalypse neu erfunden haben und sich durch ihre Fähigkeiten auszeichnen. Frauen mit japanischen Schwertern. Militärs in Tarnfarben. Ehemalige Zoowärter, die einen Tiger als Haustier halten. Überlebenskünstler, die Jesus genannt werden. Der eigentliche Messias bleibt aber Rick Grimes, denn er wird in jeder Gemeinschaft, in der er sich integriert, früher oder später als charismatischer Führer etabliert.

Die Geschichten im Comic wiederholen sich dabei schon längst. Frauen werfen sich starken Männern an den Hals, die sie dann später für Frauen abservieren, welche ihnen im Überlebenskampf ebenbürtig sind (und seltsamerweise meist die gleiche Hautfarbe haben). Wo große Gemeinschaften entstehen, ergreifen größenwahnsinnige und gewaltbereite Führer die Herrschaft und betrachten die „Bürger“ ihrer Gruppe bestenfalls als Rohstoffe und Arbeitskräfte, die sie durch ein Schutzversprechen ködern und mit Brot und Spielen bei Laune halten. Und dann kommt Rick Grimes, der sich niemandem unterwerfen will, Machtstrukturen in Frage stellt und schließlich den Status Quo ins Wanken bringt.

Wiedergänger im Fernsehen

Rick in der Fernsehserie: Weniger hart (Quelle: amc)

Rick in der Fernsehserie: Weniger hart (Quelle: amc)

Das Comic hatte seinen kreativen Höhepunkt damit eigentlich schon überschritten, als die TV-Serie an den Start ging. Wie das Heft habe ich die erste Staffel der Serie damals aus den USA importiert. Und ich war von Anfang an enttäuscht. Es fing bei der Besetzung an, allen voran bei der Hauptfigur. Rick ist im Comic ein harter Hund, dem man die Rolle des charismatischen Führers sofort abnimmt. Einer, der John Wayne das Wasser reichen kann. Andrew Lincoln verkörpert mit seinen weicheren Zügen mehr den netten Kerl von nebenan. Bestenfalls ist er ein junger Gary Cooper. Nichts bringt den Unterschied so gut zum Ausdruck wie der Vergleich von Comic-Rick mit Comic-Shane mit Serien-Rick und Serien-Shane: Im Comic begegnen sich da zwei Rudelführer und es wird schnell klar, dass hier kein Platz für beide ist. In der Serie dauert es lange, bis dieser Punkt erreicht ist. Und selbst dann hat der Serien-Rick Probleme, den Abzug zu betätigen.

Die Serie wirkt wie ein alternatives Bizzaro-Universum des Comichefts. Die Leute heißen gleich, aber sie verhalten sich anders. Andere leben. Andere sterben. Wer stirbt, stirbt auf andere Weise, aus anderen dramaturgischen Gründen. Man kann das als Beleg der nihilistisch geprägten Weltanschauung auslegen oder aber als kreative Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass es hier in letzter Konsequenz hauptsächlich darauf ankommt, eine Marke in einem anderen Medium zu verwerten. Ich habe mich für Letzteres entschieden.

Der süße Duft der Verwesung

Im Comicheft beantworten Kirkman und seine Angestellten regelmäßig Fanpost. In einer der ersten Ausgaben schreibt ein Leser: „there are too many good stories that go boring because the authors just wouldn’t stop.“ Und Kirkman antwortet folgendes : „I will never stop writing this book. I plan on riding it right into the ground. When I run out of ideas I’ll just start adding aliens and stuff.

Die Aliens sind uns (bisher?) erspart geblieben, der angesprochene Punkt ist aber im Grunde erreicht. Man könnte an dieser Stelle darüber mutmaßen, ob sich Robert Kirkman verkauft hat. In den Leserbriefen des Comics spricht er gerne scherzhaft vom College Fund seiner Kinder, den er füllen muss. Und nachdem Krikman im Comic über Jahre hinweg erklärt hat, dass er niemals das Geheimnis um die Ursache der Untotenplage lüften wird, wurde dieses in der Serie bereits in der ersten Staffel abschließend erklärt. Vielleicht zeigt das die Übermacht eines Fernsehsenders gegenüber einem idealistischen Comicheftschreiber. Vielleicht auch nur, wie schwer es ist, seinem Nachwuchs mit Comicheften eine vernünftige Ausbildung zu verschaffen.

Ist „The Walking Dead“ noch unterhaltsam? Irgendwie schon. Es kann ständig jemanden erwischen. Dank der obligatorischen Cliffhanger am Ende jeder Folge und jeder Ausgabe bleibt die Serie spannend. Aber einen Masterplan des Schöpfers oder der Serienautoren darf man nicht erwarten. Und mal ehrlich: Ist es nicht das, was wir uns letzten Endes von einer guten Geschichte erhoffen? Dass es anders geht, haben im Comicbereich Autorenhefte wie „Preacher“ oder „Y – The Last Man“ demonstriert und im TV-Segment zuletzt „Breaking Bad“. „The Walking Dead“ wird uns sicher noch eine Weile erhalten bleiben, vermutlich aber zu lange. Man kann den süßen Duft der Verwesung schon riechen…

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