Auf „Sniper: Ghost Warrior“ war ich freudig gespannt. Vorrangig aus einem Grund: Mit dem Scharfschützen-Shooter wollte City Interactive endlich im Hardcore-Gamer-Segment Fuß fassen. Weg von den „Terrorist Takedown“- und „Battlestrike“-08/15-Materialschlachten aus der Retorte. Dieses Mal nutzten die Entwickler nicht die angestaubte „F.E.A.R.“-Engine, sondern die „Chrome“-Entwicklungsumgebung von den polnischen Kollegen von Techland, die zuletzt „Call of Juarez: Bound in Blood“ realisierten. Und dann noch in wunderschönen Dschungel-Szenarien heimlich Terroristen ausschalten? Das klang wirklich verlockend…
Schon häufiger widmete sich City Interactive den Elitesoldaten mit ihren speziellen Gewehren. Aber die „Marine Sharpshooter“-Serie oder „Sniper: Art of War“ waren üble Genrevertreter, über die man besser kein Wort verlieren sollte. Die gute Nachricht möchte ich gleich vorweg nehmen: „Sniper: Ghost Warrior“ ist deutlich besser als der gesamte Mumpitz der letzten eins, zwei Jahre, den der Spielehersteller so auf den Markt geworfen hat. Zufrieden bin ich deshalb noch lange nicht.
Zum einen geht mir die Geschichte schon nach 30 Sekunden gehörig auf den Keks. Ihr seid ein ach wie cooler Scharfschütze, der auf einer „Far Cry“-ähnlichen Insel namens Isla Trueno gegen brutale Gauner vorzugehen hat, die sich das Recht herausgenommen haben, das Land zu regieren. Dazu kommt noch ein korruptes Militär, dessen Chefs Schüsse in den Kopf verdient haben. Ihr steht auf der Seite der US-Regierung, um wieder für Recht und Ordnung in das schöne Reich zu bringen. Der Protagonist bleibt die gesamte Zeit über farblos und beliebig ersetzbar. Vermutlich hätte es keinen Unterschied gemacht, hätte man hier Gollum eine Flinte in die Hand gedrückt. Die Story wird so lala vermittelt, besitzt keine Überraschungen und ist – leider typisch für City Interactive – banal und langweilig. Überspringen wir also dieses traurige Kapitel und schauen weiter…
Zu Beginn sollt ihr mit einem KI-Mitstreiter dem fiesen General Vasquez eine weitere Öffnung in seinen Schädel spendieren. Ihr schleicht euch an ein feindliches Lager heran, sucht einen perfekten Ort zum Zielen und…verpatzt es. Das ist zwar abzusehen, bringt aber den Vorteil mit sich, dass ihr bis dahin die wichtigsten Elemente von „Sniper: Ghost Warrior“ kennen gelernt habt – vor allem dann, wenn ihr das Tutorial übersprungen haben solltet. Letztendlich ist der Titel nicht einmal sonderlich komplex: Im Stehen ist das Zielen auf Gegner in der Entfernung etwas zittrig, besser ist es, wenn ihr euch hinlegt. Durch eine Art Zeitlupen-Funktion dürft ihr die Gegenspieler effektiver töten, ansonsten hilft ein kleiner roter Punkt, Windstärke, Distanz und den Herzschlag automatisch einzuschätzen sowie korrekt zu treffen. Im höchsten Schwierigkeitsgrad müsst ihr das selbst berücksichtigen, was „Sniper: Ghost Warrior“ tatsächlich deutlich anspruchsvoller, realistischer und dadurch höchst interessant macht. Auf der niedrigsten Herausforderungsstufe dagegen ist das Spiel fast ein gewöhnlicher Shooter, der in einigen Missionen sogar Richtung billige Ballerei ausartet. Denn ihr müsst ebenfalls Sturmgewehre, Handgranaten, Sprengstoff oder Pistolen anwenden – das hat nichts mehr mit Scharfschützen-Simulation zu tun. Hier haben die Designer wohl versucht, ein „Call of Duty“ zu kopieren oder gar zu den eigenen Wurzeln zurück zu kehren? Wie dem auch sei – außerordentlich unterhaltsam ist das nicht so richtig, vor allem weil es mir an Einfallsreichtum fehlt. Wenigstens macht es Sinn, dass ihr hier einen CIA-Agenten steuern müsst, während der Scharfschütze eine Pause einlegt.
Zurück zum Taktik-Aspekt: Die Stealth-Elemente finde ich gelungenen, zusammen mit dem überraschend hübschen Dschungel-Szenario kommt viel Atmosphäre auf. Ihr robbt euch durch die Botanik, hangelt euch einen Berg hinunter und versucht, ein ganzes Gegnernest auszuheben – möglichst unauffällig, ihr seid schließlich ein Scharfschütze. Das macht wirklich Spaß, jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt.
Es liegt einzig und allein daran, dass es die Programmierer versäumt haben, ihrem Spiel das nötige Feintuning zu gönnen. Beispielsweise können euch Gegner offensichtlich problemlos durch einen Wald entdecken, ihr dagegen seht sie nicht oder nur durch Zufall. Folglich schießen sie auf euch, ein Schadensmelder gibt euch zwar die ungefähre Richtung an, ihr könnt sich häufig aber nicht aufspüren – weil sie irgendwo hinter einem Baum oder Objekt campen. Nicht einmal die Schussbahn der feindlichen Kugeln wird angedeutet, oft kommt ihr euch vor, als würdet ihr einen Wimmelbild-Shooter spielen, bei dem ihr die Fieslinge stundenlang suchen müsst. Das ist unfair, nervig und führt ständig zu eurem Ableben. Dass ihr zusätzlich noch an Büschen oder Steinen hängen bleibt und sogar im Eifer des Gefechts herumrutscht, sorgt für weiteren Frust. Hinzu gesellt sich ein unverständliches Heilsystem, das eure Lebensenergie kurz vor dem Tod nur bis zum Punkt 30 regeneriert, sofern ihr keine Spritzen findet.
Dass euch die Gegner aus gefühlten 1000 Metern schon treffen können, ist albern und spielspaßhemmend. Und dass eure Waffen über keinen Rückstoß verfügen, zerstört noch den letzten Rest Authentizität. Übrigens: Eure KI-Mitstreiter sind unsterblich und strohdumm bzw. helfen euch meist gar nicht erst. Die Intelligenz der Gegner beschränkt sich ebenso auf wildes Geschieße und sinnloses Herumgelaufe, solltet ihr sie überhaupt zu Gesicht bekommen. Hab ich schon die sporadisch auftretenden Grafikfehler und das unbrauchbare Deckungssystem erwähnt? Okay, das hab ich jetzt auch abgehakt.
Gut gefallen hat mir der Mehrspieler-Modus. Mit drei Spielarten und ein paar Maps ist er nicht umfangreich, aber die Scharfschützen-Massaker sind schon lustig. Das klappt recht gut und ist glücklicherweise eine nette Abwechslung.
„Sniper: Ghost Warrior“ hätte ein wirklich großes Spielvergnügen werden können. Leider hapert es an zu vielen Stellen. Die klassischen Shooter-Einlagen gehen in Ordnung und mit der lahmen Story könnte ich leben, aber wieso wurde bei dem eigentlich wichtigsten Aspekt, dem Sniper-Part, so sehr geschlampt? Die Gegner mit ihren zu guten Augen treiben mich regelmäßig in den Wahnsinn, das permanente Suchen nach vermeintlich unsichtbaren Feinden ist anstrengend und dem Spaß keineswegs förderlich. Vielleicht könnte ein Patch hier noch einiges verbessern, ich befürchte nur, dass dieser nicht vorgesehen ist. Der Rest stimmt mich sogar positiv: Die technische Seite ist weit entfernt von einem „schlecht“, manche Schauplätze könnten glatt aus einem schönen Urlaubsfoto-Album stammen. Sogar die deutsche Synchronisation ist in Ordnung. Nur was bringen mir diese Pluspunkte, wenn ich bei zig Passagen aufgrund der Unfairness im Sekundentakt kotzen könnte? Bezeichnet ihr euch allerdings als geduldigen und frustresistenten Scharfschützen-Fanatiker, dann könnt ihr „Sniper: Ghost Warrior“ eine Chance geben. Und ich hoffe bis zum Release des Nachfolgers darauf, dass City Interactive auf die Kritik der Gamer hört, sich intensiver mit der Qualitätskontrolle beschäftigt und das nächste „Sniper“-Spiel das bietet, was die Produktbeschreibung verspricht .