Spiele wie “Shelter 2” sind ein ganz großer Glücksfall für die von Blockbustern nur so zugedonnerte Videospielbranche. Mit wenigen, aber eindrucksvollen Stilmitteln entfaltet sich eine Geschichte, die Emotionen weckt, die Hass schürt, Hoffnungen entstehen lässt und unendlich traurig machen kann.
Shelter: Ein Experiment
Ich mochte “Shelter”. Das Originalspiel, vor wenigen Jahren ohne großes Tamtam veröffentlicht, war für mich eine Offenbarung, was auch der Spielidee geschuldet war: In “Shelter” geht es nicht darum, als guter Soldat die anderen (allesamt bösen) Krieger ins Jenseits zu verfrachten, eine Welt vor dem Untergang zu retten oder die schnellste Rundenzeit aufzustellen. Nein, “Shelter” versetzte euch in die Rolle einer Dachsmutter samt frischem Wurf, den ihr durch einen Wald und die Jahreszeiten zu bringen hattet. Das klingt albern, ich weiß. Doch schnell entwickelte sich eine Beziehung zu den namenlosen Geschöpfen. Wenn die Kleinen mit leisem Bellen eurer Dachsmutter nachrennen, ihr Schleichen imitieren oder neugierig die Umwelt erkunden, war das zuckersüß anzusehen und ein herrliches Idyll. Doch im nächsten Moment konnte ein Raubvogel eines der Jungen reißen – und tot war es. Habt ihr euch dann auch nicht darum gekümmert, Nahrung heranzukarren, starb der Wurf binnen weniger Spielminuten. “Shelter” war und ist etwa so drastisch wie der Zeichentrickklassiker “Watership Down – Unten am Fluss” und trotz seiner Scherenschnittoptik definitiv kein Spiel für Kinder.
Shelter 2: Eine komplett neue Erfahrung?
“Shelter 2” vollzieht den Perspektivwechsel: Nicht als hüftlahmer Dachs, sondern flinker (und hochschwangerer) Luchs flüchtet ihr eingangs vor einem Rudel Wölfe und sucht Schutz in der Höhle auf einer Anhöhe, auf der ihr ein großes und weites Land überblicken könnt. Euer Wurf erblickt dort das Licht der Welt und ist zunächst hilflos, hungrig und brüllt ununterbrochen nach der Mutter. Nestwärme geben, Nahrung jagen, den Kleinen später die Welt zeigen… “Shelter 2” variiert die Formel des Vorgängers nur marginal, aber mit drastischen Konsequenzen: Ihr seid an dem interessiert, was sich hinterm Horizont verbirgt? Prima, erkundet es – dann ist der Wurf aber tot, weil verhungert! Ihr sucht lieber nach großen Tieren, die ihr erlegen wollt? Dann macht euch darauf gefasst, dass Wölfe auch zurückschlagen und euch Schaden zufügen. Wie wollt ihr dann für die Kleinen sorgen?
Es ist paradox, dass der Luchs als Protagonist schneller, wendiger und allgemein gefährlicher ist als der gemütliche Dachs – trotzdem seid ihr in dieser Rolle oftmals ohne Chance, ohne Möglichkeit, auch nur einen Moment zu verschnaufen. Deshalb enden die meisten Partien von “Shelter 2” in einer Tragödie, die nur durch einen kleinen Lichtblick abgemildert wird: Die Bekanntschaft mit einem neuen, kräftigen und männlichen Luchs, der mit der Luchsdame flirtet.
Wie das Spiel des Lebens dann weiter geht, entscheidet ihr selbst. Frei von Macken ist “Shelter 2” nicht – oft hakt die Steuerung (und mindert so den Jagderfolg), die Kamera ist etwas lahm und Pad-Spieler vermissen die Einblendung der Tasten. Der Rest aber ist einzigartig: Die Scherenschnittoptik mit abstrakten Texturen und rudimentären Zeichnungen am Nachthimmel, die eindrucksvolle Geräuschkulisse einer wilden und feindlichen Umwelt, der atmosphärische und zutiefst bedrückende Soundtrack. Und die vielen Spielmöglichkeiten im Rahmen dessen, was die Entwickler hergeben, laden immer wieder zu neuen Partien ein. “Shelter 2” ist trotz seiner Brutalität, seiner Schockmomente und spärlichen Inszenierung ein Paradebeispiel dafür, wie Emotionen geweckt werden. Unbedingt spielen!
“Shelter 2” ist für rund 15 Euro bei Steam erhältlich.