Kaum zu glauben, aber wahr: Seit „GTA III“ habe ich so meine Probleme mit Rockstars Action-Serie. Egal ob „San Andreas“, „Vice City“ oder „GTA IV“ – stets konnte oder wollte ich mich nicht mit den Protagonisten identifizieren. Diese pseudo-anspruchsvollen Geschichten, diese urbanen Schauplätze, diese Gauner, Gangs und Kleinkriminellen. Wieso sollte ich auch etwas damit anfangen können, ich bin kein Mörder aus dem Ghetto und kein gebeutelter Osteuropäer. Fiktion und digitales Entertainment hin oder her – diese Ernsthaftigkeit mit dem kläglichen Versuch von Sarkasmus gefiel mir einfach noch nie so recht. Ihr wisst ja, wie das so mit den Geschmäckern ist. Dabei lag es freilich keinesfalls an den objektiven Qualitäten der Spiele, sondern einzig an den grundsätzlichen Themen. Und jetzt das: „Red Dead Redemption“ kombiniert ein für mich spannendes Szenario mit den Stärken von „GTA“. Das kann doch nur grandios sein, oder?
So mancher könnte meinen: „Bäh! Cowboys und Indianer? Wie öde!“ Aber genau das gibt es bei „Red Dead Redemption“ quasi gar nicht. Rockstar hat sich wohl bewusst für eine Epoche entschieden, die eigentlich nach der Ära des „Wilden Westens“ angesiedelt ist. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Indianerkriege, zum Beispiel das Massaker in South Dakota (1890) an knapp 300 Lakota-Indianern, längst in Vergessenheit geraten. Die Zuglinien zur Westküste Nordamerikas sind im Spiel fertig gebaut und die Goldgräber-Stimmung bei den Immigranten und ehemaligen Sklaven abgeebbt. Von einer „Eroberung des Westens“ kann nicht mehr die Rede sein, die Ureinwohner des Kontinents sind kaum noch relevant. Stattdessen konzentriert sich die Geschichte auf die im letzten Jahrhundert noch sehr hohe Kriminalität in der Region und dem schwierigen Leben der dort wohnenden Menschen. Sozusagen besitzt der Titel also ein frisches Szenario, „Gun“ oder die „Call of Juarez“-Episoden widmeten sich einem früheren Zeitalter und geizten nicht mit Klischees. Ganz verzichten konnte Rockstar Games zwar auch nicht auf diese, insgesamt aber wirkt die erschaffene und fiktive Spielewelt trotzdem realistisch und somit glaubwürdig.
Kurioserweise ist mir sogar der Protagonist John Marston sympathisch. Der ehemalige Outlaw hat einen Auftrag im Westen zu erfüllen, erst nach rund einer Spielstunde erfahrt ihr, dass er in seinem früheren Leben ein brutaler Gangster und Mitglied einer Bande war. Er selbst gibt sich aber offen und zum Beispiel seiner Lebensretterin gegenüber sehr freundlich. Das verleiht ihm Profil, vermutlich weil er aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Nun kann er Gutes tun und sich mit seinen Taten sogar einen positiven Ruf bei den Einwohnern verdienen. Sicher, Marston ist ein harter Kerl mit Narben im Gesicht. Irgendwie fällt es mir aber leichter, mich in seine Rolle hinein zu versetzen, was daran liegen mag, dass er nicht grundsätzlich böse zu sein scheint und konkrete Interessen verfolgt. Das war bei Niko Bellic in „GTA IV“ auf den ersten Blick zwar nicht anders, jedoch war es bei ihm für mich damals schwerer, seine wirklichen Motive zu erfahren und vor allem zu verstehen, wieso er dies und jenes tut bzw. ein Trauma von irgendeinem Krieg intus hatte. Der „Background“ wirkt bei „Red Dead Redemption“ plausibler ausgearbeitet und aufgrund der vorwiegend ländlichen Schauplätze auch passender. Wie dem auch sei: Das Spiel fasziniert mich aufgrund des von den Designern erschaffenen Helden und dank des etwas anderen Blickwinkels auf den „Wilden Westen“. Das Zusammenspiel passt wunderbar, dank OpenWorld-Konzept und zeitgemäßer Technik mit Abstand besser als damals bei „Red Dead Revolver“.
Die spielerischen Möglichkeiten in „Red Dead Redemption“ kurz zu beschreiben, ist quasi nicht möglich. Denn Marston kann so unglaublich viel machen, die Zusammenfassung würde wohl den Umfang eines Karl May-Romans locker sprengen. Erneut glänzen die Entwickler mit ihrem Einfallsreichtum, so wie wir es seit „GTA 3“ gewohnt sind. Statt Autos, die es nur in altertümlicher Form in den größeren Ortschaften zu sehen gibt, zu klauen, könnt ihr ganz legal euer eigenes Pferdchen herbeirufen und euch nach Belieben durch die Botanik galoppieren lassen. Ihr gebt nicht mehr Gas, achtet dafür auf die Ausdauer eures Gauls und beschleunigt ihn bedacht auf Knopfdruck. Ähnlich funktioniert das Fahren mit Kutschen, hier gibt es sogar verschiedene Arten. Logisch, dass sich Marston auch zu Fuß durch die Prärie und großartig dargestellten Land- bzw. Ortschaften bewegen kann. Abseits der eigentlichen Hauptkampagne sollten die Nebenmissionen nicht vernachlässigt werden, mit diesen baut ihr schließlich euren Ruf als Held oder Krimineller auf. Schätze suchen, Kühe zur Weide bringen, Gangster (mit dem Lasso) einfangen, Bandennester ausräuchern, Botengänge durchführen, Pflanzen sammeln – ach, ihr wisst schon. Ihr könnt viel erleben und entdecken. Die Aufgaben könnten abwechslungsreicher kaum sein: Mal steht die Action im Vordergrund, ein anderes Mal werdet ihr mit einer melodramatischen Hintergrundgeschichte konfrontiert. Obwohl euch so viele Optionen und einzuschlagende Wege offeriert werden, fühlt ihr euch in „Red Dead Redemption“ nicht verloren, auch könnt ihr euch dank des Radars und der Übersichtskarte kaum verirren. Und dass manchmal mitten in der Nacht am Wegesrand plötzlich irgendwas geschieht, eine Zufallsmission aktiviert wird oder einfach nur Leute vorbeireiten – das macht das gesamte Geschehen irgendwie dynamisch, spannend und lebendig.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass ihr selbstverständlich auch Gemeinheiten ausführen könnt, was euch bei der Bevölkerung nicht beliebt macht. Ich gestehe: Ich habe stets versucht, das zu vermeiden. Und das nicht nur, weil manche Gewalt-Aktivitäten unangebracht sind, sondern den Schwierigkeitsgrad gravierend erhöhen. Eine Polizei in dem Sinne existiert bei „Red Dead Redemption“ nicht, aber da das Kopfgeld auf euch bei fiesen Taten steigt, wird sich schon jemand finden, der euch in die ewigen Jagdgründe schickt.
„Red Dead Redemption“ ist trotz etlicher friedlicher Missionen ein Action-Spiel. Mit der Steuerung bin ich zwar manchmal nicht 100%ig zufrieden, u.a. da das Reiten fast ein wenig ans Buttonsmashing erinnert, aber im Großen und Ganzen gefallen mir die Arten des Kämpfens sehr. Mit der Faust und allerlei Schießeisen dürft ihr loslegen, richtig klasse sind die Auseinandersetzungen auf dem Pferd gelungen. Dead-Eye, also die Zeitlupen-Funktion zum Anvisieren von Gegnern, wurde aus dem Vorgänger übernommen, damit gestalten sich manche Duelle als etwas zu simpel. Ebenso vereinfacht das automatische Zielen die Ballereien etwas. Zusammen ergibt das aber ein rundes und spaßiges Bild, typisch für Rockstar. Diese Aussage dürfte auch für die visuelle Pracht gelten. Stellenweise wird gegenüber „GTA IV“ ordentlich zugelegt, ausgezeichnet sehen die Pferde und ihre Animationen aus. Die Gebiete sind äußerst mannigfaltig und lassen beim spontanen Erkunden der Welt nicht so schnell Langeweile aufkommen. Immer wieder eine Augenweide sind die Sonnenauf- bzw. untergänge oder der wundervolle Nachthimmel. Mir persönlich sind keine unsichtbaren Pferde untergekommen (bereits bestätigter Bug), dafür aber dezente Slowdowns ins größeren Ortschaften und einen etwas verspäteten Bildaufbau bei Hintergründen. Mir ist das echt egal, denn alles wirkt wie aus einem Guss. Phänomenal!
Der Multiplayer. Sicher ist dieser für viele Spieler interessant, vor allem der Free-Modus für bis zu 16 Teilnehmer. Ich warte lieber auf den versprochenen Coop-Modus, auf den ich schon Monate vor dem Release gehofft habe. Denn gemeinsam als Gang Missionen erfüllen – das könnte echt was Hervorragendes werden. Das jetzt schon Gebotene hebt mich jetzt nicht so direkt an, ist aber qualitativ für Mehrspieler-Freunde mehr als genügend.
Von „GTA“ bin ich es ja längst gewohnt, aber nörgeln möchte ich trotzdem: Wieso verzichtet Rockstar eigentlich auf eine deutsche Synchronisation? Da hat das Unternehmen so einen riesigen Titel parat und spart bei einer deutschen Sprache. Klar, die englischen Sprecher sind erstklassig, nur ist es dezent schade, dass man bei Dialogen, die akustisch schwer verständlich sind, auf die Untertitel linst und prompt etwas vom Geschehen verpasst. Das ärgerte mich übrigens schon bei „GTA IV“ mächtig. Jaja, nur eine Kleinigkeit…
Ich könnte jetzt stundenlang über „Red Dead Redemption“ philosophieren, über das sensationell gute Preis/Leistungs-Verhältnis staunen und die Softwarequalität sowie die Atmosphäre in höchsten Tönen loben. Mache ich aber nicht, sondern versuche mich kurz zu fassen: Den Titel sollte jeder selbst erlebt haben! „GTA“-Anhänger werden sich über die neuen Schauplätze sowie frischen Spieloptionen im schicken OpenWorld-Gewand freuen und auch im Wilden Westen ihren Spaß haben. Skeptiker oder diejenigen, die mit „Grand Theft Auto“ so wie ich nie so recht warm wurden, müssen sich nicht sorgen, denn auch sie werden vorzüglich unterhalten. Was soll ich da noch über marginale Kleinigkeiten wie die übersehbaren Technik-Ungereimtheiten meckern? „Red Dead Redemption“ ist toll. Punkt!
Eine Sache sei noch erwähnt: Wisst ihr, was für mich „Red Dead Redemption“ auch zu einem Ausnahmetitel macht? Es ist dieses Gefühl von Freiheit. Ich reite in den Abendstunden gen Sonnenuntergang, an mir hoppeln ein paar Rehe vorbei, in der Ferne höre ich wilde Schüsse. Mich lässt das alles völlig kalt, ich reite weiter. Wohin? Egal! Auf einer kleinen Anhöhe bleibe ich stehen. Langsam bricht die Nacht hinein. Die letzten Sonnenstrahlen kämpfen mit der Dunkelheit, die zwangsläufig gewinnen wird. Der Mond mit seinen Freunden, den Sternen, zeigt sich. Und ich? Ich beobachte die fast lebendig wirkende Natur. Ja, das ist fantastisch und…tja..für mich einzigartig! Vielleicht ist es so etwas wie eine romantisierte Vorstellung vom Wilden Westen, die einen solch „langweiligen“ Ablauf für mich so reizvoll macht? Ist auch nicht wichtig, solange ich es zu schätzen weiß. Solche phänomenalen Momente, gänzlich ohne Ballerei und Action, habe ich bisher in kaum einen anderen Spiel erlebt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich einem „Der mit dem Wolf tanzt“ mehr abgewinnen kann als einem x-beliebigen Spaghetti-Western? Wer weiß…
Ich stimme hier voll zu. Red Dead Redemption ist einfach genial. Habe es seit heute und erst so ca. 2 Stunden gespielt, aber die alleine waren schon umwerfend.
Dazu muss ich sagen, dass ich GTA 4 nicht mochte. Es war zu schnell langweilig, die ewig langen Anfahrtswege haben mich von Anfang an gestört. Das ist bei Red Dead gar nicht so. Ich benutze bis jetzt auch die Schnellreisefunktion nicht.
Das Reiten macht irre Spaß, habe mir gerade ein neues Pferd zugeritten und werde morgen mal austesten, was es so kann. Dazu kommt, dass ich bei RDR einfach jede noch so kleine Nebenmission machen MUSS. Ich will einfach alles sehen, außerdem häute ich gerne mal Waschbären, Kühe oder Pferde.
Das Kämpfen gefällt mir auch sehr gut, die Schüsse kommen schön wuchtig, besonders im Dead Eye Modus. Außerdem passieren ständig irgendwelche Sachen, wenn man einfach nur durch die Prärie reitet (hab einmal einen wild um sich schießenden Typ vom Pferd geschossen, weil ich dachte, der verfolgt jemanden und will ihn umbringen, bis ich dann gesehen habe, dass der Verfolgte ein kleines Kaninchen war und ich dafür den Typ erschossen habe; das fühlte ich mich ein wenig schlecht, seine Taschen habe ich aber trotzdem geplündert…). Ich freue mich auf die nächsten Stunden mit RDR!