Was ich mir vom Spielejahr 2011 wünsche: mehr Mut, mehr Innovation, mehr Konsequenz. Vor allem aber wünsche ich mir Entwickler, die ihr Medium ernst nehmen und nicht nur sagen: Es ist doch nur ein Spiel.
Der Schauspieler Billy Bob Thornton hat im November der Zeitung „The Telegraph“ ein Interview gegeben, in dem er Videospielen die Schuld an schlechten Filmen gibt:
„…these video games, which I’m on my son about constantly, these games are people killing for fun, and I think traditionally in movies, there’s always been some kind of lesson in the violent movies.”
Natürlich wurde er dafür von der Fachpresse und Spielern in der Luft zerrissen. Thornton wäre „zu alt“ um das verstehen, er hätte keine Ahnung davon und so weiter. Trotzdem sollte man seine Worte nicht einfach verdammen, sondern mal darüber nachdenken, denn der Mann hat im Wesentlichen Recht. Zwar darf man nicht so weit gehen und alle heutigen Filme für schlecht erklären (so Thornton an anderer Stelle im Interview) aber für das heutige Actionkino kann man durchaus behaupten, dass sie sich von Videospielen inspirieren lassen. Spiele sind purer Eskapismus, eine Flucht aus der Realität bei der man seine Alltagssorgen vergessen kann. Einerseits ist dagegen nichts einzuwenden, aber andererseits darf man sich dann auch nicht beschweren, wenn das Medium nicht ernst genommen wird und die oft sinnlosen Gewalteskapaden im Stil von „CoD“ oder „Gears of War“ anprangert.
Viele Filme sind auf ein videospielendes Publikum zugeschnitten. Das junge Medium besitzt trotz rückläufiger Zahlen eine enorme Wirtschaftskraft, es gilt als ein Leitmedium der Jugendkultur und viele Ausdrücke (z. B. „Game over“) haben den Weg in unsere Alltagssprache gefunden. Allerdings muss man Thorntons Aussage etwas zurechtrücken, denn die Entwicklung, die Thornton anspricht, geht zurück in die 50er und 60er-Jahre und hat zunächst nichts mit Videospielen zu tun. In der französischen Nouvelle Vague hielt das erste Mal die Pop- und Jugendkultur Einzug in die Filmwelt, später im New Hollywood oder in den 80er Jahren mit dem französischen Cinéma du look und Filmen wie „Diva“ oder „Subway“. War diese Art von Kino geprägt von Videoclips und Werbefilmästhetik, so kann man Ende der 90er im Actionkino Ähnlichkeiten mit Videospielen entdecken. Die Filme Michael Bays erinnern im Rückblick eher an eine Aneinanderreihung von spektakulären Set-Pieces eines Triple-A-Spieleblockbusters, als an klassisches Kino mit glaubhaften Figuren und gut entwickelter Story. In einem Film wie „Stirb Langsam“ war das noch anders. Hier musste Hauptfigur John McClane zwar auch ein Hochhaus vor ein paar „Terroristen“ schützen, aber er wollte in erster Linie seine Frau wieder haben. Im Kern geht es im Film um Liebe und Vergebung, die „Szenen einer Ehe“ auf Testosteron.
Das ist eine Botschaft und trotz der stilbildenden Actionszenen wird man die Geschichte im Kopf behalten. Die Gewalt in „Stirb Langsam“ ist nicht nur Selbstzweck, sondern wird in jeder Szene von den Figuren und der Handlung begründet. Trotzdem verdankt er seine visuelle Wucht zu einem großen Teil der Werbe- und Videoclips der damaligen Zeit. Diese Tatsache lehrt vor allem eins: nicht jeder weiß, wie man Elemente anderer Medien in sein Werk integriert. Natürlich waren nicht alle Actionfilme von früher besser, sondern viele landeten gleich verdientermaßen in der hinteren Ecke einer Videothek, aber man kann auch nicht behaupten, dass sich das Genre weiterentwickelt hat. Filme wie „Kickass“ scheren sich nicht um moralische Feinheiten. Zwar ist man bis zum Ende hin von den visuellen Ideen der Macher beeindruckt, doch schon beim Abspann kommen Zweifel auf. Die 11jährige weibliche Hauptperson „Hit Girl“ geht brutal und rücksichtslos gegen die Gangster vor, aber anstatt zumindest kurz dieses Vorgehen zu hinterfragen, feiert der Film eine Ode auf die Selbstjustiz. Der Film oder beispielsweise „Transformers – Die Rache“ soll Spaß machen, aber der Zuschauer darf bloß nicht anfangen zu denken – das ist exakt die gleiche Haltung vieler Videospielfans und Entwickler.
Das Problem vieler Videospiele ist, dass sie sich bewusst einer moralischen Einordnung entziehen, indem von allen Seiten behauptet wird: „Es ist nur ein Spiel“. Das ist Quatsch. Wenn dem so wäre, würden wir nicht von Videospielen als Leitmedium sprechen – sie sind zu wichtig für unsere Gesellschaft geworden, als dass man sie einfach lapidar abstempeln sollte. Mit den „Nur ein Spiel“-Aussagen versuchen sich Entwickler aus der Verantwortung zu stehlen, dass sie mit ihrem Produkt Menschen beeinflussen können – positiv wie negativ. Das ist bei „Farmville“ in der Regel kein Problem, aber bei exzessiver Gewaltdarstellung scheiden sich die Geister. Es ist kein Geheimnis, dass der Bodycount eines durchschnittlichen Actionspiels höher ist, als bei einem klassischen Actionfilm (Gegenbeispiele?). Zudem sollte man nicht vergessen, dass diese normalerweise nur 3-4 große Actionszenen haben – dazwischen wird nämlich immer noch eine Story erzählt. Ego-Shooter sind dagegen ein einziges Adrenalinspektakel, das für so etwas keine Zeit lässt. Manche missverstehen dies als subversive Attacke auf den Mainstream, aber ein Triple-A-Titel wie „Bulletstorm“ wird von EA bestimmt nicht für ein Nischenpublikum gemacht.
Es geht doch anders: „Bioshock“ bietet ein komplexes Hintergrundszenario und handelt von einer gescheiterten Utopie; „GTA“ ist mit seinen treffenden Minderheitendramen einem Martin Scorsese näher als einem George P. Cosmatos und selbst „Dead Space“ verbindet “Moby Dick” mit einem Psychothriller. Aber ehrlich gesagt: Hat das jemand gemerkt? Stattdessen werden nur die Gewaltexzesse aufgelistet und hinter die Kulisse wird weder von Spielern noch Journalisten geblickt. Warum? Es gibt wohl kein Medium, dass so von oberflächlichen Schauwerten abhängig ist, wie das Videospiel. In meinen Augen ist die „Message“ aber wichtiger, als diese Hülle und dabei stimme ich Thornton zu. Diese Botschaft ist wesentlich für ein Kunstmedium, wenn es als solches ernst genommen werden will. Spiele tun das in der Regel nicht, denn hier heißt es in erster Linie: Augen zu und durch. „Moralische Entscheidungen“, wie sie in manchen Spielen angeboten werden, sind keine, denn stattdessen legen sie nur unsere Strategie fest. Es geht nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, wenn man die Little Sisters „erntet“, sondern nur darum ein alternatives Ende zu sehen. Dadurch werden Spiele zu einem sehr eindimensionalen Medium, denen es an inhaltlicher Tiefe fehlt. Passend dazu ist eine Aussage von Tameen Antoniades, Chief Creative Director von Ninja Theory („Enslaved“): „Spiele sind trotz der Story erfolgreich“.
Deshalb wünsche ich mir von Spielern, Entwicklern und Journalisten, dass sie Videospiele nicht konsumieren und wie Waren bewerten. Ich hoffe, dass „The Last Guardian“ genauso melancholisch wird, wie man es von den „Ico“-Erfindern erwarten darf, und das die Story von „Dead Space 2“ nicht nur ein Tutorial für den Multiplayer wird. Ich will, dass Marcus Fenix endlich den Dienst quittiert und Bobby Kotick sich an den CoD-Millionen verschluckt. In einem perfekten Jahr würden dann „L.A. Noire“ und „Deus Ex: Human Revolution“ zeigen, dass Videospiele mehr sein können, als „nur Spiele“. Vielleicht gibt es dann auch wieder bessere Actionfilme.
Puh – gibt’s nicht auch die Kategorie “ist doch nur ein Film”? Stirb Langsam oder The Terminator sind intelligente Actionmovies mit Botschaft, Half Life und Bioshock sind intelligente Actionspiele mit Botschaft.
Packe ich jetzt Dolemite oder Private House of the SS aus, dann wirds schon schwieriger – das ist Exploitation-Spaß, bei dem man von der Geschichte her oft beide Augen zudrücken muss.
Vielleicht ist es eher eine vorübergehende Mode, dass erfolgreiche A- und AAA-Actionkracher in beiden Medien momentan vollhohl sind? Dann fühlt sich auch garantiert keiner “offended”. Oder zumindest nur so wenige Leute, dass ein kalkulierter Aufschrei für PR sorgt.
Werden Blockbustermovies von der breiten Masse nicht auch trotz der Story gesehen? Interessiert wirklich jemanden die Botschaft von Inception? Außer BRAAAAHM hat doch da keiner was mitgenommen, stattdessen fragt man sich ernsthaft ob der Kreisel auf ein Sequel hindeutet. Auaaaa!
BBT finde ich auch nach seiner Äußerung noch akzeptabel. Ein bisschen Generationskonflikt, ein bisschen Desinteresse, ein bisschen selektive Wahrnehmung auf das Business, in dem er arbeitet – geht in Ordnung.
Es könnte auch heißen: “nur ein Buch, Song oder Bild” – alles Aussagen, die ein Medium “beleidigen” und es verniedlichen.
Und natürlich gibt es etliche dumme Exploitation-Filme (wobei du den ein oder anderen Filmwissenschaftler findest, der das Gegenteil behaupten wird). Allerdings könnte ich dir locker 100 (oder mehr) Actionfilme nennen, die mehr Tiefe besitzen als ein durchschnittliches Actionspiel. Sie erzählen eine Story und setzen auf Figurenentwicklung – all das fehlt einem normalen Actionspiel. Es gibt doch nur eine Handvoll “intelligente Spiele” und ab der Zahl 50 (hoch gegriffen) wird es schwierig. In der Regel ist dort die Gewalt Selbstzweck, die keinen Platz zum Denken lässt. Das ist Ok, wenn man sich ein paar Stunden unterhalten will und dürfte einem Erwachsenen auch keine Probleme bereiten. Dann darf man sich aber auch nicht beschweren, wenn sie von niemanden Ernst genommen werden. Stichwort: Kunstvorbehalt. Ich denke bzw. hoffe allerdings, dass Videospiele mehr sein können als flache Unterhaltung. Bioshock, HL oder Dead Space haben gezeigt, dass es möglich ist.
Geht es denn hier nur um _Action_film vs. _Action_spiel (siehe Kommentare) – und auch der Artikel im wesentlichen?! Ich meine schon, dass es einige Spiele gibt, die mehr können als Filme – beim reinen Focus auf Action schauts da aber sicherlich etwas mager aus. Aber so könnte man sicherlich auch das Horrorfilmgenre hochloben, und im Gegenzug das Gamegenre niedermachen?!
Zumindest finde ich die Game(genre)wahl sehr einseitig.
@Kith
Thornton hat seine Kritik auf alle Videospiele bezogen und ich habe ein immens populäres Genre (Action) als exemplarisches Beispiel gewählt. Ich stimme Thronton zu, dass unser heutiges Mainstream-Kino (oder Blockbuster-Kino) auf einem bedenklichen Weg nach unten ist. Das gilt nicht unbedingt für kleinere Produktionen oder das Arthaus-Kino und deshalb habe ich dies bewusst herausgelassen. Um aber die ganze Komplexität dieser Entwicklung zu beschreiben müsste man wahrscheinlich eine Doktorarbeit schreiben.
Interessant finde ich, dass du Spiele höher einschätzt als Filme. Kannst du das genauer erklären?
@Andreas
Ah, okay. War wohl auch schon etwas spät und ein paar meiner Gehirnzellen bereits ausgeschaltet ;-) Ich schätze Spiele auch nicht höher ein als Filme.