“Never Alone” ist so ein Spiel, bei dem ich mir vorstellen kann, wie sich Förderanstalten förmlich darum prügeln, die Entwicklung finanziell unterstützen zu dürfen: Es verwandelt die Folklore der Ureinwohner von Alaska in ein Videospiel. Kulturell wertvoll, aber als Spiel leider nicht das, was es hätte sein können.
Es war einmal…
Die Traditionen einer ethnischen Gemeinschaft beruhen häufig auf mündlicher Überlieferungen, deren Wurzeln möglicherweise noch vor der Schriftkultur liegen. Wir hatten in unseren Breitengraden die Gebrüder Grimm, die allerlei Märchen aufschrieben, die ihnen von Großmütterchen diktiert wurden. Diese Geschichten wurden vermutlich schon seit Generationen erzählt und durch die Schrift mehr oder weniger fixiert. “Never Alone” geht wieder zurück zum gesprochenen Wort. In der Sprache der Iñupiaq erzählen euch die Entwickler die Geschichte eines kleinen Mädchens, das von einem arktischen Fuchs begleitet wird und allerlei Abenteuer bestehen muss.
Das Spiel läuft ziemlich gemächlich an. Ihr lauft von links nach rechts und erhaltet genügend Zeit, die Untertitel zu lesen. So folgt ihr der Handlung. Ab und an erscheint eine Meldung auf dem Bildschirm, die euch darauf hinweist, dass ihr ein neues Video freigeschaltet habt. Der Punkt “Kultureinblicke” ist im Hauptmenü mit einem Ausrufezeichen versehen. Soll wohl heißen: Das hier ist nicht nur ein Spiel. Es gibt auch was zum Lernen. Wer interessiert ist, kann auf jeden neuen Einblick sofort reagieren und das Video direkt aus dem Spiel heraus starten.
Limbo meets Infotainment
So ein bisschen frage ich mich, ob der Ansatz der richtige ist. Ja, wir alle wollen gerne, das Video- und Computerpiele gesellschaftlich anerkannt werden. Aber “Never Alone” wirkt hier schon sehr bemüht. Ich hätte mir gewünscht, wenn ich erst einmal das Spiel unbehelligt von jeder pädagogischen Absicht spielen könnte und dann am Ende so begeistert davon bin, dass ich mehr über die Hintergründe erfahren will. Dazu überzeugt “Never Alone” als Spiel nicht ausreichend. Seien wir ehrlich: Ohne den kulturellen Anstrich wäre es eine weitere “Limbo“-Kopie, die an das Original nicht herankommt. Vermutlich nicht der Rede wert.
So, ich hab es gesagt und fühle mich jetzt etwas schlecht. Denn “Never Alone” so kaltschnäuzig abzuwatschen, das ist schon ein bisschen herzlos. Es ist ein wenig so, als hätte man das Kind von jemandem hässlich oder dumm genannt. Oder als würde man Hundewelpen nicht süß finden. Was soll ich machen? Als Spiel kann “Never Alone” schlicht nicht mit dem Vorbild mithalten. Kulturell wertvoll? Wegen mir. Spielerisch überzeugend? Leider nicht immer.
Fuchs, bei Fuß!
Da wäre zunächst der Fuchs, dessen Kontrolle der Computer übernehmen kann, wenn ihr keinem menschlichen Begleiter ein Gamepad in die Hand drücken könnt. Das treue Tier bleibt gerne mal hängen oder in einer Gefahrenzone stecken. So gut die Idee an sich sein mag, es krankt manchmal an der Umsetzung. Zumindest wenn ihr alleine spielt und der Fuchs kein Mitspieler ist, der sich auf euer genervtes Schnauben hin ein bisschen mehr zusammenreißen kann.
Und da sind ein paar Stellen, an denen der Schwierigkeitsgrad so weit in die Höhe schnellt, dass ihr auf präzise und gut getimte Sprünge angewiesen seid. Und hier lässt euch gerne mal die Steuerung im Stich. Wenn der Fuchs punktgenau einen Walljump machen muss, endet er leider vorzugsweise als zuckelndes Ragdoll am Boden. Man braucht dann einige Versuche, bis es mal klappen mag. So richtig schlimm ist es also nicht, aber eben unter der Messlatte, die Spiele wie “Limbo” gesetzt haben.
Die inneren Werte
“Never Alone” ist eigentlich so ein Spiel, über das man nichts Schlechtes sagen möchte. Und im Grunde gäbe es auch genug Gutes zu erwähnen. Nur wenn ich die Grafik loben will, fällt mir der Eisbär ein, der bei einigen seiner Animationen leicht defomiert wirkt. Und dann fühle ich mich wieder so, als würde ich jetzt zwanghaft nach einem Kompliment suchen, das ich dem Spiel machen kann.
Unterm Strich solltet ihr vielleicht auf die Reviewer hören, die begeistert von dem Spiel sind. Meine Ansprüche sind in diesem Fall sehr hoch. Von kulturell wertvollen Spielen erwarte ich mir Aspekte, die kein anderes Medium besser machen könnte. In diesem Fall ist die Kombination aus Doku-Schnipseln, atmosphärischem Jump’n’Run und Erzählung für mich zu sehr Multimedia, zu wenig Spielkultur.