Moderne Erziehung: Das Nilpferd aus dem iPad

20. November 2012

Neulich wurde ich früh morgens von meinem zweijährigen Sohn geweckt, der mit seinem Nilpferd-Kuscheltier bewaffnet schwungvoll auf meine volle Blase sprang und in seiner unnachahmlichen Kindersprache lautstark äußerte: „Daddy, Hippapopotamus!“ Und während ich noch dabei war, die aufkommenden Schmerzen im Beckenbereich zu bekämpfen, um nicht auch noch meine Frau und den zweiten Sohn im Alter von acht Monaten aus dem Schlaf zu schrecken, fügte der kleine Frühaufsteher noch ein bemerkenswertes Statement hinzu: „Hippapopotamus aus dem iPad!“

Da ist es – das leibhaftige “Hippapopotamus”!

Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, als ich die Bedeutung des Wortes „Hippopotamus“ im Englischunterricht gelernt habe. Das war während der achten Klasse, als unser damaliger Lehrer zu einer Unterrichtsstunde ebenso mit einem Plüschnilpferd erschien und uns auf diese Weise eines der bemerkenswerteren, zungenbrechenden Worte aus dem Englischen nahe bringen wollte. Meine ersten Versuche, „Hippopotamus“ korrekt auszusprechen, müssen damals ähnlich geklungen haben wie heute bei meinem Sohn. Allerdings war ich damals schon über ein Jahrzehnt älter!

Wie kommt nun mein Steppke dazu, ein eher kompliziertes Wort – noch dazu in einer Fremdsprache – verständlich zu äußern? Die Antwort hat er selber schon gegeben, denn „schuld“ ist das iPad! Der Kleine nutzt Apple’s Tablet und andere Touchscreen-Geräte schon seit einiger Zeit mit einem erstaunlichen Geschick und Verständnis. Als Folge haben wir einige Kleinkind-gerechte Programme installiert, darunter auch ein englischsprachiges Lernspiel namens “Kids Animals” von Intellijoy, welches sich mit dem Erkennen von Tieren – einschließlich des besagten „Hippopotamus“ – beschäftigt.

Irgendwo hier wohnt “Hippopotamus”.

Durch solche Erlebnisse drängt sich der Schluss auf, dass die moderne Computertechnik durchaus als Erziehungsmittel verwendet werden kann, was – einmal öffentlich geäußert – sofort viele kontroverse Diskussionen nach sich zieht. Aber auch ich als Vater sehe mich da mit einigen Zwiespälten konfrontiert, die auf Prinzipien basieren, die aus der Zeit stammen, als ich noch keine Kinder hatte. Als langjähriger Computerspieler hatte ich selbst erlebt, welche Anziehungskraft die virtuellen Welten ausüben können. Je älter ich wurde, desto kritischer betrachtete ich die Vorgehensweise mancher Eltern, den lieben Kleinen einfach eine Konsole ins Kinderzimmer zu stellen, um auf diese Weise mal ein paar ruhige Minuten zu erhalten. Ich prangerte förmlich die Verantwortungslosigkeit in einem derartigen Fall an und sah den Erziehungsauftrag verfehlt.

Und jetzt, nachdem ich mich in der Rolle des Erziehungsberechtigten wiederfinde, lasse ich plötzlich meinen Sohn auf dem iPad Spiele spielen und Filme anschauen?

Pauschal lässt sich hierzu erst einmal formulieren, dass Prinzipien eine nette Sache sind, sofern sie einen nicht unmittelbar selbst betreffen. Wenn ich meiner älteren Schwester im Bezug auf ihre zwei Kinder eingebläut habe, dass sie jeglichen Computerkonsum strikt kontrollieren und zeitlich begrenzen soll, dass sie „immer dabei sein muss“, wenn die Kleinen mit dem neuesten Gadgets herumspielen, dann klang das alles schrecklich vernünftig und sinnvoll. Die Einwände meiner Schwester, dass das teilweise gar nicht möglich wäre, kann ich erst heute verstehen, da ich nun in der gleichen Position bin!

Jede Generation setzt sich in Sachen Erziehung damit auseinander, welche modernen Entwicklungen gut oder schlecht für die Entwicklung der Kinder sein könnten. Ob Bücher, Musik, Kino, Fernsehen oder Computer – all diese Medien lösten in der Vergangenheit ähnliche Gesellschaftskonflikte in Bezug auf die Erziehung aus, bei denen auch mal eben pathetisch das „Ende der zivilisierten Menschheit“ proklamiert wurde. Und wie so häufig lag bei all dem die Wahrheit irgendwo in der Mitte von zwei unversöhnlich gegenüber stehenden Extremen!

Weitere Kollegen von “Hippopotamus” aus Intellijoy’s “Kids Animals”

Auch ich betrachte die Konflikte, die sich aus einer salopp formulierten „Erziehung mittels iPad“ ergeben können, eher als eine Frage des richtigen Maßes: Zweifelsohne kann es nicht im Sinn einer guten Erziehung sein, die Anziehungskraft moderner Technik auszunutzen, um die unstillbare Neugier der Kinder zu befriedigen und somit den Hausfrieden herzustellen. Wer hier seinem Nachwuchs unkontrolliert neues Medienfutter serviert, darf sich auf lange Sicht nicht wundern, wenn das Erziehungsergebnis weit von den Idealvorstellungen abweicht und die Kinder aus dem Ruder laufen.

Andererseits halte ich es für weltfremd, Kinder von den Dingen zwanghaft fernzuhalten, mit denen sie sich früher oder später ohnehin auseinandersetzen müssen. Wer hier dogmatisch alles verbietet, was die Welt an neuen Errungenschaften anzubieten hat, wird möglicherweise seine Kleinen nicht auf die Herausforderungen vorbereiten können, mit denen sie sich in ihrem weiteren Lebensverlauf konfrontiert sehen werden. Und hierzu gehört heutzutage das iPad inklusive Touchscreen-Steuerung genauso wie die schier grenzenlosen Kommunikationsmöglichkeiten via Internet.

Somit liegt schlussendlich für mich doch der Schlüssel in dem Prinzip des „Dabeibleibens“, wie ich es vor vielen Jahren – noch kinderlos – meiner Schwester geraten hatte. Denn nur, wenn ich selber begreife, was eine neue technische Errungenschaft bietet und wie sie funktioniert, kann ich ihren Wert oder auch ihre Risiken für meine Kinder so objektiv wie möglich beurteilen.  Und auch nur dann kann ich wirklich die Bedeutung dafür erkennen, wenn mir mein Sohn in aller Herrgottsfrühe erklärt, dass das „Hippapopotamus“ aus dem iPad stammt – und mit vor Stolz geschwellter Vaterbrust den neuen Tag beginnen!

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6 comments on “Moderne Erziehung: Das Nilpferd aus dem iPad

  1. Wahre Worte!
    Mehr braucht man dazu nicht sagen.

  2. Christoph Nov 21, 2012

    Das ist alles wahr!
    Die Zeiten ändern sich und wenn ich noch mit Büchern großgeworden bin, so wächst die heutige Generation mit iPad auf… und das ist gut so.
    Was würden wir im heutigen Zeitalter ohne Laptop oder Handy machen und wieviele Schwierigkeiten bereitet uns das Lernen.
    Die kids von heute wachsen damit auf und haben keine Probleme.
    Toll, wenn Eltern sich NICHT dagegen verwehren.

  3. Ich begrüße es durchaus, wenn Kinder von Anfang an den sachgerechten Umgang mit moderner Technik lernen. Die Eltern müssen meiner Meinung nach nur darauf achten, dass auch der richtige Umgang mit Medien und Medienkonsum beigebracht wird.

    So fragte letztens in einem Forum ein Vater nach einem guten Tablet mit Mobilfunkteil, damit seine elfjährige Tochter auch unterwegs ins Internet könne. Bei solchen Szenarien bin ich dann wieder stark an meiner Verständnisgrenze. Ich verstehe, wenn man Kindern ein (Prepaid) Handy mitgibt, was an sich eine tolle Sache ist. Aber ein Tablet, damit sie überall und immer im Internet surfen kann?

    • Und hier sind wir bei dem von mir erwähnten Maß: Das Prepaid-Handy für die Kinder ist heutzutage fast eine Selbstverständlichkeit! Wer hier an die “gute alte Zeit” erinnert, in der das alles auch ohne Handy ging, der verkennt einen Hauptverdienst des Fortschrittes, nämlich die Vereinfachung des Lebens. Und wieso sollte man diese nicht nutzen, wenn sie zur Verfügung steht?

      Aber der ständige Online-Betrieb für die Elfjährige mittels Tablet führt früher oder später zu einer Maßlosigkeit im Gebrauch, und das alles ohne echte Kontrollmöglichkeit durch die Eltern, denn der Sprössling hat das Ding ja überall dabei! Das ist genau die Art von Kontrollverlust, die in diesem Alter aus meiner Sicht unbedingt verhindert werden müsste, auch wenn man sich da dann einfach dem Konflikt mit dem fordernden Kind stellen muss.

      Ich erzähl Euch dann in zehn Jahren, wie es mir dabei ergangen ist und ob ich meine Meinung dazu aus praktischer Erfahrung ändern musste… :-)

      • Ich gebe ja zu, ich habe leider keine Kinder und ob ich je welche habe steht leider in den Sternen. Allerdings habe ich einen Stapel 30 bis zu 35 Jahre jüngeren Halbschwestern … ^^ (mein Vater hat noch mal ordentlich zugeschlagen … ä
        hm, tja … )

        Jedenfalls ist das Maß, genau der Punkt. Ein Handy bzw. Smartphone für Kinder kann sehr nützlich sein, insbesondere ja auch für die Eltern. Bei einem Tablet mit extra Internetvertrag, auch wenn die Eltern “reich” sind, wird dabei irgendwie der Umgang mit Geld und was es Wert ist unterminiert.

  4. Angelehnt an diesen Artikel gab es im Zuge der kuerzlich stattgefundenen “Re:publica” diesen lohnenswerten Artikel ueber moderne Erziehung, den ich Euch nicht vorenthalten moechte:

    http://www.spiegel.de/netzwelt/web/erziehungstipps-fuer-den-netz-nachwuchs-mama-papa-ipad-a-898810.html