Computerspiele können weit mehr als ein bloßes Spiel sein! Sie können unter die Haut gehen, große Kunst darstellen oder aber zu Lernzwecken eingesetzt werden. Eine sehr weit gehende Form der letzten Variante ist uns kürzlich mit dem Browser-Spiel “Luftikids” untergekommen. Die outermedia GmbH hat zusammen mit der AG Asthmaschulung ein Lernspiel für Jugendliche entwickelt, welche unter Asthma leiden. Dabei werden spielerische Wissensvermittlung mit Therapieansätzen wirksam miteinander verbunden. Das Ergebnis ist ein Spiel, das sich sowohl als Fortbildungsmaßnahme als auch Behandlungsunterstützung verwenden lässt. Dass der Zweck erreicht wurde, beweist die Unterstützung durch das deutsche Krankenkassensystem. Für die jungen Patienten werden somit die entstehenden Spielgebühren übernommen.
Wir erhielten kürzlich die Möglichkeit, mit Martin Thiele, dem Projektmanager von “Luftikids” bei outermedia, ein ausführliches Interview über das ungewöhnliche Spielprojekt zu führen. Das weckte gleich mein Interesse…
Polygamia.de: Wie kam es zu der Idee, ein Lernspiel zum Thema Asthma und Allergien zu entwickeln?
Martin Thiele: Jedes 10. Kind in Deutschland leidet an Asthma bronchiale. Schulungen haben in der Asthmatherapie höchste Priorität, da die Betroffenen lernen, ihren Gesundheitsstatus besser einschätzen zu können und mit der chronischen Krankheit angemessen umzugehen. Zirka 20.000 Kinder und Jugendliche nehmen jährlich an Basisschulungen für Asthma teil. Das Problem ist jedoch, dass die Inhalte nach der Schulung nach und nach in Vergessenheit geraten. Dies bestätigten uns auch Ärzte und wiesen darauf hin, dass Nachschulungen leider sehr wenig in Anspruch genommen werden. Ein Arzt aus Sylt, Dr. Bernd Behling, ist mit der Grundidee einer Online-Asthmaschulung auf uns zugetreten. Sein Impuls veranlasste uns letztlich dazu, mit „Luftikids“ eine Schulungsmaßnahme zu schaffen, die junge Asthmapatienten ganz einfach von Zuhause aus durchführen können und die ihnen zudem noch Spaß bei der Wissensvermittlung bereitet – selbstverständlich nicht als Ersatz des Arztbesuches, aber als sinnvolle Ergänzung und Vertiefung.
Polygamia.de: Wie lange hat die Entwicklung gedauert, und wie viele Menschen haben daran mitgewirkt?
Martin Thiele: Da wir bei „Luftikids“ nicht allein ein Spiel programmieren mussten, sondern auch die medizinischen Grundlagen zu berücksichtigen hatten, sind von der ersten Idee bis zur Realisierung etwa 18 Monate ins Land gezogenn. Insgesamt waren etwa sieben Personen daran beteiligt. Mit Konzeption, UI-Design, Illustration und Animation, medizinischer Beratung, dem Texten der Dialoge, dem Erarbeiten der Wissenstexte und Quiz-Aufgaben, der Spiele-Programmierung und dem finalen Testen kommt da schon einiges an Arbeit zusammen.
Polygamia.de: Wer ist für die wissenschaftlichen Inhalte verantwortlich?
Martin Thiele: Gerade wenn es sich um ein ernstes Thema wie eine chronische Erkrankung handelt, sind geprüfte Inhalte unabdingbar. Aus diesem Grund wurden unsere Inhalte in Absprache mit der AG Asthmaschulung (AGAS) ausgearbeitet und entsprechen im Kern dem, was auch bei einer ärztlichen Asthmaschulung vermittelt wird. Zudem werden die Inhalte in regelmäßigen Abständen von verschiedenen Pneumologen und Kinderärzten geprüft. Eine umfassendere Aktualisierung fand erst kürzlich statt. Nur diese hohe inhaltliche Qualität gewährleistet es, dass Ärzte die Anwendung auch verschreiben und die Krankenkassen die Kosten für die Anwendung tragen.
Polygamia.de: Was ist der Hauptgedanke hinter diesem Spiel, also was soll den unter Asthma leidenden Kindern vermittelt werden?
Martin Thiele: Derzeit befragen wir Testnutzer von „Luftikids“, um die Anwendung noch besser auf deren Bedürfnisse anzupassen. Dabei erhielten wir bisher sehr gutes Feedback: Besonders glücklich zeigen sich die jungen PatientInnen darüber, dass ihnen “Luftikids” die Zeit gibt, in ihren eigenen Lerntempo Wissen aufzunehmen – gerade wenn es auf spielerische und sympathische Art und Weise vermittelt wird. Oftmals hat der Arzt im Rahmen der normalen Sprechstunde gar nicht die Zeit, ausführlichere Hintergründe oder z.B. Atemtechniken zu erklären. All das bekommen die Nutzer von Luftikids geboten. Das hauptsächliche Ziel unserer Anwendung ist es, den Kindern ein Tool an die Hand zu geben, das sie bei einem angstfreien Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützt, ihnen hilft, ihr Asthma in den Griff zu bekommen und ihnen dabei gleichzeitig Freude bereitet.
Polygamia.de: Unsere Testspiele haben gezeigt, dass die vermittelten Informationen durchaus komplex sind. Wird damit die eigentliche Zielgruppe nicht überfordert?
Martin Thiele: Hierin liegt tatsächlich eine große Herausforderung. Um unserem medizinischen Anspruch gerecht zu werden, müssen wir mit den Inhalten arbeiten, die auch von der AG Asthmaschulung vermittelt werden. Wenn wir diesen Standard halten wollen, haben wir inhaltlich wenig Spielraum. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass wir die Inhalte in angenehme Häppchen verpacken. „Luftikids“ erzählt die Geschichte des Erdmännchens Rudi, der mit den Spielern seine Inselwelt erkundet. Mit Rudi teilt der Nutzer oder die Nutzerin ein Problem: beide haben sie Asthma. Das schafft schon mal Vertrauen, die Entdeckungsreise kann beginnen. Jede einzelne Insel birgt kleine Geheimnisse und neue Informationen für das Kind. Zudem wird zwischendrin immer wieder das erlernte Wissen in kleinen Quizzen abgefragt. Mini-Games sorgen für die entsprechende Auflockerung. Gerade bei kleineren Kindern empfiehlt es sich aber, als Elternteil dem Kind zur Seite zu stehen, allein um die Hemmschwelle der Texte etwas abzubauen. Doch ganz sicher können auch die Eltern der Kinder bei Luftikids noch etwas lernen. Alles in allem denke ich, dass es uns sehr gut gelungen ist, die medizinischen Inhalte interessant aufzubereiten.
Polygamia.de: Wie wird das Spiel von der Zielgruppe angenommen?
Martin Thiele: Das Feedback, dass von den Nutzern an uns herangetragen wird, stimmt uns insgesamt sehr zufrieden. Da unsere Zielgruppe allerdings recht heterogen ist, was Alter und Erkrankungsstatus angeht, sind es verschiedene Aspekte, die positiv aufgenommen werden. So erfreut sich der Achtjährige eher an der liebevollen Gestaltung und der hübschen Inselwelt, wohingegen sich ein Dreizehnjähriger eher am geknackten Highscore erfreut und es zu schätzen weiß, nochmal Atemübungen zu trainieren. Was im Grunde alle Nutzer mögen, ist die Identifikation mit unserem Avatar Rudi, dem schon so manches Mal geholfen werden muss, sowie die Möglichkeit im eigenen Lerntempo die Inhalte durchzugehen. Gerade wenn ich mit unseren Testnutzern spreche und darum gebeten werde, den Testzugang ein weiteres Mal zu verlängern, habe ich das Gefühl, dass wir einiges richtig gemacht haben.
Polygamia.de: “Luftikids” wird mittlerweile auch von den Krankenkassen als eine Art medizinische Unterstützung angesehen, richtig? Wie kam es dazu und wie wichtig ist das für die Intension, die hinter dem Spiel steckt?
Martin Thiele: Ja, das ist richtig. Nach §43 Abs. 1(2) SGB V haben die Krankenkassen die Aufgabe, den Gesundheitszustand der chronisch kranken Versicherten mit ergänzenden Leistungen der Schulung oder Rehabilitation zu stärken. Maßnahmen wie „Luftikids“ setzen genau da an und bieten neben der reinen medizinischen Versorgung Lektionen an, die den Umgang mit der Erkrankung erleichtern und damit langfristig das Wohlbefinden verbessern können. Insbesondere bei Kindern kann eine richtige Therapie samt Schulung einen sehr nachhaltigen Effekt erzielen. Genau das war der ursprüngliche Gedanke des Spiels. Mit der Anerkennung durch die AG Asthmaschulung, Ärzte und letztlich Krankenkassen, wurden wir in dieser Zielsetzung bestätigt und wissen, der Aufwand hat sich gelohnt. Wichtig ist für uns nun, dass noch mehr Ärzte auf unsere Anwendung aufmerksam werden und sie an ihre Patienten und Patientinnen als therapiebegleitende bzw. therapieerweiternde Maßnahme weitergeben.
Polygamia.de: Wie wird es weiter gehen mit dem Spiel?
Martin Thiele: Derzeit führen wir eine größere Testnutzeraktion durch, bei der Kinder, deren Eltern, sowie auch Ärzte die Anwendung testen und bewerten können. Das ist für uns ausgesprochen nützlich. Daher möchte ich alle Eltern von betroffenen Kindern und auch Ärzte ermutigen, mit uns in Kontakt zu treten und uns damit zu helfen, unser Tool für chronisch kranke Kinder weiter zu optimieren und zu verbreiten. Unsere Vision ist es, dass jedes Kind, das eine Asthmaschulung besucht hat, mit „Luftikids“ sein Wissen weiter vertiefen kann.
Ein großer Schritt in diese Richtung ist die Veröffentlichung medizinischer Studien. Die Universitätsklinik Gießen hat bereits eine Studie zum Effekt von „Luftikids“ durchgeführt und wird die Ergebnisse in Kürze veröffentlichen. Die Ergebnisse zeigen, dass „Luftikids“ zu mehr Beschwerdefreiheit, weniger Schulfehltagen, weniger Arztbesuchen und Notfallkonsultationen, einer verminderten Symptomatik, vermindertem Gebrauch von Bedarfsmedikamenten und einem besseren Wissen über Asthma führt. Das sind großartige Resultate, die uns ermutigen, das Lernspiel nochmals stärker zu verbreiten. Eine zweite Studie in der weitere Aspekte untersucht werden, läuft derzeit am Kinderspital Zürich.
Zudem ist es unser Anspruch, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben. Daher ist „Luftikids“ in einer mobilen Variante geplant. Es zeigt sich gerade bei jüngeren Nutzergruppen eine ausgesprochene Affinität zu Smartphones & Tablets. Bringt man das Lernspiel auch auf mobile Geräte, führt das sicherlich zu einem noch flexibleren Einsatz und kann damit den positiven Effekt unserer Lernanwendung weiter steigern.
Als langfristiges Ziel streben wir an, für „Luftikids“ einen medizinischen Beirat zu gründen und mit den Einnahmen, die wir durch Leistungen der Krankenkassen erhalten, ein Charity-Projekt zu unterstützen. Für dieses Vorhaben hat die Partnersuche gerade begonnen.
Polygamia.de: Sind noch weitere Spiele mit einem anderen Hintergrund geplant?
Martin Thiele: Auf jeden Fall. Die Zahl der Gamer in Deutschland und der Welt wächst ständig, und es ist längst erwiesen, welche Motivation und welchen Ehrgeiz (digitale) Spiele erzeugen können. Gerade wenn Belohnungssysteme (Highscore etc.) oder das Durchschreiten non-linearer Welten eine Rolle spielen, wird die Immersion und damit der Lerneffekt bei Kindern um ein Vielfaches gesteigert. Warum sollte man sich diese Qualitäten, die das Medium Spiel mit sich bringt, nicht auch in ernsthaften und relevanten Kontexten wie der Medizin zu Nutze machen? Wir haben mit „Luftikids“ sehr viele Erfahrungen sammeln können, wie die Verschränkung zwischen Spiel und Gesundheitswesen sinnvoll funktionieren kann, und sind in der Lage, komplexe Inhalte auf spielerischem Weg zu vermitteln. Aus diesem Grund ist es unser festes Vorhaben, weitere Lernspiele für Kinder mit chronischen Krankheiten umzusetzen. Denn auch wenn dieses Feld noch mit sehr vielen Hürden verbunden ist, fühlt es sich am Ende gut an, zu wissen, dass die eigene Arbeit Kindern helfen konnte.
Polygamia.de: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg mit diesem sehr sinnvollen Projekt, welches einmal mehr zeigt, dass Computerspiele ein weitaus umfassenderes Medium ist, als es oftmals wahrgenommen wird.
Interessierte können einen Blick auf “Luftikids” unter diesem Link wagen: www.luftikids.de.
Eine tolle Idee diese Spiel, leider habe ich nicht ersehen können, ob dieses Spiel auch kostenlos zu Lehrzwecken eingesetzt werden kann.
Ist es möglich für eine Präsentation in der Kita, eine kostenlose Spielversion von Luftikus zu bekommen ?
Danke im Voraus
Jessica Roes
Hallo Frau Roes,
danke für Ihren Kommentar!
Bezüglich Ihrer Frage würde ich Sie bitten, sich direkt mit Herrn Thiele oder der Outermedia GmbH in Verbindung zu setzen. Dort wird man Ihnen sicher weiterhelfen können.
Mit besten Grüßen,
das Polygamia-Team!