Wahrscheinlich bin ich der weltgrößte Vita-Fan! Seit Sony’s Handheld-Powerpaket im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist, werde ich nicht müde, die Vorzüge dieses schicken Stücks Hardware bei jeder Gelegenheit ausgiebig zu preisen. Kritik lasse ich meist nicht zu und kann sie mir nur mit Unwissenheit und Unkenntnis erklären. Und wenn dann gar der angeblich so hohe Preis im Vergleich zum 3DS angeführt wird, kann ich angesichts des immensen Technikvorsprungs der Vita nur milde lächeln und in meinen Bart “Wer braucht schon 3D mit Kopfschmerzgarantie?” murmeln.
Allerdings hat mich Sony bei meiner persönlichen PR-Kampagne bislang in einem Bereich schmählich im Stich gelassen: Das momentan verfügbare Softwareangebot stellt nicht gerade ein Kaufargument dar! Richtig tolle Titel, die auch die Hardware der Vita angemessen in Szene setzen, sind eine Seltenheit. Und Perlen wie “Uncharted – Golden Abyss” oder “Wipeout 2048” blieben bisher Ausnahmen! Sony verlässt sich offenbar mehr auf halbgare Umsetzungen, die hohe Abwärtskompatibilität zur PSP und das große Angebot an “Minis” auf dem PS-Store. Selbst ich muss zähneknirschend zugeben, dass eine “Killer-App”, die jedes neue System für den nachhaltigen Erfolg braucht, bislang weit und breit nicht auszumachen war.
Doch es gab Hoffnungsschimmer, allen voran in Form von “Gravity Rush”! Die ersten Bilder und Trailer ließen die Hoffnung auf ein wahrlich ungewöhnliches Spiel aufkommen, das die vielfältigen Bedienungsmöglichkeiten der Vita voll berücksichtigen würde. Auch der abgedrehte “Steampunk”-Stil traf sofort meinen Geschmack. Und die Tatsache, dass einer der Hauptentwickler Naoko Sato ist, der bereits “Silent Hill” und die “Siren”-Reihe zur Anerkennung verholfen hatte, ließ ihn mir fast eine Gewissheit aufkommen, dass “Gravity Rush” der Vita endlich den breiten Durchbruch verschaffen würde.
Manchmal wundere ich mich immer noch über mich selber, denn trotz all der Jahre, die ich mittlerweile spiele (immerhin schon 25 an der Zahl), lasse ich mich ab und zu doch noch zu überzogenen Erwartungen hinreißen. “Gravity Rush” ist dafür das perfekte Beispiel, denn wenn es auch beileibe kein schlechtes Spiel ist, ist es doch leider weit von einem “system seller” entfernt!
Woran liegt’s? Sicherlich nicht daran, dass die Vita bei dem Spiel nicht zeigen könnte, was sie kann. Die Stadt Hekseville, in der “Gravity Rush” spielt, ist eine abgedrehte Mischung aus Industrie, Mittelalter und Klassizismus, deren im Nichts schwebende Stadtteile eine unglaubliche Anziehungskraft für Entdecker ausstrahlen. Dass sich die Protagonistin Kat auf diese Entdeckungsreise mittels der Fähigkeit begibt, für eine bestimmte Zeit die Gravitationsgesetze außer Kraft zu setzen, verleiht dem visuell Ansprechenden des Spiels den letzten Feinschliff. Wer sich mit der anfangs etwas sperrigen, aber doch gut erlern- und vor allem beherrschbaren Steuerung zurecht gefunden hat, wird bald mit breitem Grinsen kopfüber unter Stadtplätzen hängen oder an Häuserfassaden runter rennen, um die überall verteilten Edelsteine aufzusammeln. Das aus “Toy Story” bekannte, geflügelte Wort “Falling with Style” bekommt in “Gravity Rush” eine neue, da spielbare Dimension!
Anfangs gefallen auch Handlung und Missionsstruktur durch schick inszenierte Zwischensequenzen im Comic-Stil und abwechslungsreiche Aufträge, deren Ziele sich oftmals spontan und überraschend ändern können. Doch verzettelt sich der Plot mit zunehmender Spieldauer, lässt viele Fragen unbeantwortet und endet ziemlich enttäuschend, mit unverhohlenem Schielen auf einen Nachfolger!
Die Missionen bleiben zwar bis zum Schluss spannend und auf hohem Niveau, werden aber zusehends durch die Eintönigkeit des Kampfsystems getrübt. Was nützen mir vier Grund- und drei Spezialangriffe, wenn ich schlussendlich mit je einem davon problemlos jeden Kampf – völlig egal ob gegen Normal-, Zwischen- oder Endgegner – bestehen kann? Durch diese stumpfe Kampfmechanik werden auch die leichten Rollenspielelemente in “Gravity Rush” – hauptsächlich die steigerungsfähigen Fertigkeiten – zu einem nutzlosen Beiwerk! Es reicht vollkommen, sich auf die normale Flugattacke und den ersten verfügbaren Spezialangriff zu konzentrieren und sämtliche sonstigen Punkte in die Heilung und die Länge der Gravitationsumkehrung zu investieren, um das Spiel ziemlich problemlos bis zum Ende durchzustehen. Dass dann auch noch jeder Endgegner mit einem “Quick-Time-Event für Arme” (einfach in die Mitte eines blauen Kreises tippen) beendet wird, ist trauriger Höhepunkt eines verkorksten Spielelements!
Das Ausmaß des Potentials, welches die Entwickler von “Gravity Rush” vergeudet haben, veranlasst mich durchaus zu nachhaltigem Ärger. Das Szenario, die teils wunderbaren Entdeckungsflüge durch Hekseville und die anfänglich gut geschriebene Handlung hätten das Spiel eigentlich zu einem Hitgaranten machen müssen. Doch der zu Beginn noch schillernde Lack blättert zu späteren Spielstunden so nachhaltig ab, dass am Ende zwar immer noch ein gutes Spiel steht, aber beileibe keines, an dass man sich in einem Jahr noch großartig erinnern wird. Und das genau braucht aber die Vita, um ihren Voraussetzungen gerecht zu werden und die Anerkennung zu erfahren, die sie eigentlich unter den Spielern verdient hätte!
So muss ich wohl noch weiter die Cause Vita verteidigen, ohne echte Softwaremunition von Sony zur Verfügung gestellt zu bekommen. Vielleicht muss ja doch wieder der “Sackboy” ran, um auch diese Sony-Spielplattform zu retten?