Wer meine persönlichen Spielefavoriten kennt und sich die betreffenden Top-10-Listen anschaut, der stellt fest, dass ich eher mit anstatt gegen den Strom schwimme. Die auffälligste Ausnahme ist das Jahr 1999, in dem ich unter anderem drei der meist gedissten 3D-Titel aller Zeit feierte: “Ultima 9” (japs), “Indiana Jones and the Infernal Machine” (keuch) und “Castlevania 64” (kreisch). Diese Anomalie wird auch für mich bald vergessen sein – denn 2014 scheint bereits jetzt um einiges krasser.
GOTY 2014!
Nahezu alle meine diesjährigen Favoriten bekamen bereits nach kurzer Zeit ungewöhnlich viel Schelte. “Super Time Force“ sei zu hektisch, “Watch Dogs“ wäre ein in jeder Hinsicht unterlegener “GTA“-Klon und “Broken Age“ hätte nie in zwei Episoden geteilt werden dürfen. All das ist ein Witz gegen den Hass und den Frust, den derzeit “Gods Will Be Watching“ erfährt. Und was soll ich sagen? Mich hat das Spiel derart begeistert, dass es bereits jetzt mein persönliches GOTY 2014 sein könnte.
In ferner Zukunft wird die Menschheit von einer Terrororganisation bedroht, die sich Xenolifer nennt. Sie will mit aller Macht einen tödlichen Virus an sich reißen, der die gesamte Spezies ausrotten könnte. Ihr übernehmt die Rolle von Sergeant Burden, der eine mögliche Katastrophe auf eine eher ungewöhnliche Weise verhindern will. Er schleust sich als Spion ein, gewinnt das Vertrauen der Xenolifer und strebt eine friedliche Lösung an. Doch genau das sorgt dafür, dass sich Burden mehr Feinde macht, als es ihm lieb ist.
Auf den ersten Blick steht euch ein klassisches Point’n’Click-Adventure bevor, eingeteilt in sieben Kapitel und präsentiert in altmodischer Retrografik. Doch bereits die erste Szene macht deutlich, dass ihr es hier mit einem ungewöhnlichen Spiel zu tun habt: Ihr befindet euch mitten in einer Geiselnahme und sollt die Datenbank eines Großrechners hacken. Vor der Tür lauern bereits ein halbes Dutzend Wachen, gegen deren schweres Geschütz ihr keine Überlebenschance hättet. Deshalb befinden sich vier Geiseln in eurer Gewalt, die das Schlimmste verhindern sollen – und paradoxerweise euer eigentliches Problem darstellen.
Runde für Runde
Das Spiel ist in Runden eingeteilt. In jeder könnt ihr eine Aktion ausführen, woraufhin sowohl die Wachen als auch die Geiseln reagieren. Ihr befehlt beispielsweise eurem Kumpel, er solle die Wachen angreifen und somit zurückdrängen. Das macht wiederum die Geiseln nervös, weshalb ihr sie besser beruhigt, bevor sie panisch die Flucht ergreifen. Gleichzeitig beschwert sich euer Hacker, dass das Sicherheitssystem des Großrechners seine Arbeit verhindere. Eine der Geiseln hingegen entspannt sich derweil soweit, dass sie übermütig wird und euch zu überfallen versucht. Das zwingt euer Team, sie zu töten, woraufhin euch dummerweise ein Druckmittel weniger zur Verfügung steht.
Sämtliche Nuancen und Facetten allein von dieser Szene zu erklären, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur so viel: “Gods Will Be Watching“ ist brutal schwer. Ihr müsst selbst herausfinden, welche Aktion wann sinnvoll ist und wie ihr speziell das Verhalten der Geiseln zu deuten habt. Das Ganze avanciert zu einem höchst gefährlichen Balanceakt, bei dem auch noch Meister Zufall eine gewisse Rolle spielt.
Folter und fremde Planeten
Ja, ihr habt richtig gelesen: “Gods Will Be Watching“ ist stellenweise derart schwer, dass ihr es ohne Glück kaum oder gar nicht schaffen könnt. Manchmal werdet ihr mit einer Kette von Ereignissen konfrontiert, die nahezu unmöglich zu bewältigen ist oder bei der einmaliges Pech zum sofortigen Tod führen kann. Was eigentlich ein No-Go ist, evaluiert in diesem Falle zu einer abartig hohen Motivation.
Jedes der sieben Kapitel stellt euch vor eine eigene, völlig neue Aufgabe: Einmal sollt ihr innerhalb eines Zeitlimits das Gegenmittel zu dem tödlichen Virus finden, ein andermal sitzt ihr mitten in der Wildnis eines fremden Planeten fest und müsst gegen Hunger, Wahnsinn sowie wilde Raubtiere kämpfen. Oder ihr klebt gefesselt an einem Stuhl und werdet Runde für Runde gefoltert. Eure Aufgabe? Einfach durchhalten – irgendwie.
Sämtliche Ereignisse führen euch vor Augen, wie nahe ihr am Abgrund steht. Der Tod schwebt über jede Runde wie ein Damoklesschwert, bereits eine unglücklich gewählte Aktion kann alles zunichte machen. Oft seid ihr Befehlshaber eines mehrköpfigen Teams, von dem jedes einzelne Mitglied sterben kann. Manchmal ist es gar sinnvoll, jemanden zu opfern – zum Allgemeinwohl der Überlebenden. Allein deshalb können euch manche Entscheidungen in den Wahnsinn treiben, weil sie euch an die Grenzen eures Moralverstandes bringen. Im Extremfall ist die einzige Alternative zum Scheitern der gesamten Mission ein gemeiner Kopfschuss…
In dem Zusammenhang sei ein Kritikpunkt erwähnt, den ich in fast jedem Artikel gesichtet habe: Tote Teammitglieder tauchen im nächsten Kapitel einfach wieder auf, so als ob sie nie gestorben seien – und das angeblich ohne jedwede Erklärung. Zum einen ist das nicht ganz richtig – das Ende der Geschichte suggeriert in meinen Augen schon recht deutlich, was es mit dieser “Unlogik“ auf sich haben könnte.
Zum anderen hatte ich kein Problem damit, dass tragische Konsequenzen nicht über die Kapitelgrenzen hinaus getragen werden müssen. Warum? Weil die einzelnen Kapitel derart unterschiedlich und die Story sowieso herrlich sprunghaft ist, dass ich sie wie kleine, eigenständige Spiele betrachtet habe. Das alleine war für mich Motivation genug, stets das gesamte Team durchzuschleppen und unnötige Opfer zu vermeiden.
Dark Souls schwirrt durch den Kopf
Die einzelnen Kapitel nehmen ungefähr eine halbe bis eine ganze Stunde Zeit in Anspruch, mit Ausnahme der letzten beiden, die bedeutend kürzer sind. Ihr dürft zwischendurch nicht speichern, weshalb es durchaus passieren kann, dass ihr nach 45 Minuten gut verrichteter Dinge plötzlich vor einer unerwarteten Hürde steht und euch diese derart überfordert, dass ihr versagt. Danach heißt es: Bitte von vorne beginnen.
Wisst ihr, woran mich jedes bewältigte Kapitel erinnert hat? An “Dark Souls“. Das war auch so ein Monster, das mich zur Weißglut und zur schieren Verzweiflung brachte. Aber das Gefühl der Befriedigung, wenn es dann endlich geklappt hat? Unbeschreiblich und makellos.
Viele Kritiker behaupten, “Gods Will Be Watching“ sei zu hart und zu sehr vom Zufall abhängig. Nochmal: Ja, ihr braucht etwas Glück. Aber gleichzeitig ist es erstaunlich, wie viele Taktiken und Tipps bereits im Netz geistern. Auch ich bin stets verzweifelt, habe mir anschließend Hilfe in diversen Foren gesucht und, hoppla, auf einmal ging es in der Tat leichter. Viele Mechanismen wirkten einleuchtender. Und bei manchen Hürden denke ich mir im Nachhinein, wieso sie mir überhaupt jemals Probleme bereiteten. Ich habe letztlich bei keinem Kapitel mehr als vier oder fünf Versuche benötigt (erneut die letzten beiden ausgeklammert, die aber bewusst euren Try.&-Error-Riecher anvisieren und dementsprechend weniger Zeit in Anspruch nehmen).
O.k., ich hatte in einer Hinsicht WIRKLICH Glück: Das biestige Wüstenkapitel, dem vielleicht gemeinsten und schwersten des ganzen Spiels, leidet derzeit unter einem richtig üblen Bug, der erst gegen Ende eintritt und zum eiskalten Absturz führt. Ich will es mir gar nicht vorstellen, wie ich reagiert hätte, wenn mir das passiert wäre. In der Hinsicht kann ich nur hoffen, dass die Entwickler das Problem nachträglich in den Griff bekommen. Denn es ist in meinen Augen der einzige, echte Makel des gesamten Meisterwerkes.
Durch die Wüste
Ob das mein ernst sei? Ja – und ich kann euch nur raten, “Gods Will Be Watching“ auf eine ähnliche Weise anzugehen. In dem besagten Wüstenkapitel beispielsweise müsst ihr ein Lager finden. Ihr habt abseits einer groben Himmelsrichtungsangabe keine Ahnung, wo es steht. Ihr schreitet Bild für Bild voran und müsst mit unerwarteten Sackgassen (ärgerlich) oder feindlichen Stützpunkten (tödlich) rechnen. Ihr könnt Patrouillen vorschicken, um auf eventuelle Gefahren frühzeitig zu reagieren. All das kostet Zeit, von der euch nicht viel zur Verfügung steht.
Wie ich es geknackt habe? Indem ich die Aufgabe wie ein episches “Minesweeper“ betrachtet habe. Sprich: Ich bin mutig wie völlig lebensmüde in eine Richtung gelatscht, in der Hoffnung, auf keinen Feind zu stoßen. Das hat enorm viel Zeit gespart, mich gleich zu Beginn ein gutes Stück in Richtung Ziel gelenkt und wäre es schief gegangen, dann hätte ich einen Fortschritt von vielleicht ein bis zwei Spielminuten verloren.
Oder wie wäre es mit dem Überlebenskampf im vierten Kapitel, der auf der alten Flashversion von vor einem Jahr beruht: Zunächst dreimal kläglich gescheitert und dann beim vierten Versuch Runde um Runde die Fingernägel abgeknabbert, stets in der Ungewissheit, ob mein Team die folgende Nacht überstanden habe oder nicht doch eines der Mitglieder abgehauen sein könnte. Das Gefühl, als am letzten Tag noch alle da waren? Unvergesslich.
Pablo Ruiz brillante Musik, von pulsierend bis mitfühlend, trägt einen Großteil der Faszination bei und hat ganz besonders meine Motivation in diesem vermaledeiten Wüstenkapitel aufrecht erhalten. Ach ja, und noch etwas: Ich habe das Spiel auf dem “Original“-Schwierigkeitsgrad gepackt – und nicht auf dem leichten. Meine Erfahrungen berufen sich demnach auf einem Level, der sich ein gutes Stückchen runter schrauben lässt – sofern es die eigene Ehre erlaubt (*hust*).
Ich bin mir jedenfalls sicher, dass keiner von euch so viel Spaß mit “Gods Will Be Watching“ haben wird, wie ich. Es ist vermutlich für mich das Spiel, was für Roger Ebert der Film “Synecdoche, New York“ (Gibt’s für ein paar Euro zu kaufen. Wenn ihr noch sparen wollt, schaut mal hier vorbei.) war. Somit schwimme ich nicht erneut gegen den Strom – ich bin einfach nur einen Schritt weiter in meinem Vorhaben, ein eigenständiger, selbstbewusster Kritiker zu sein.
“Gods Will Be Watching” könnt ihr bei Steam erwerben.