So sehr ich mich auf „Enslaved“ gefreut habe, so sehr bin ich auch dazu gezwungen, eine Floskel in den Mund nehmen, die ich langsam nicht mehr schreiben mag. Aber wie bei so vielen Spielen der letzten Zeit verschenkt die neue Kreation der „Heavenly Sword“-Macher unglaublich viel Potential. Es macht mich echt traurig, dass Ninja Theory noch immer nicht die Balance zwischen dem Erzählen einer intensiven Geschichte und dem eigentlichen Spielkonzept gefunden hat.
Hach, wo fange ich nur an? Vielleicht bei dem Punkt, der mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist? Die Story. So sehr ich das „28 Days Later“-Drehbuch von Alex Garland auch mag, bei der Handlung von „Enslaved“ hat er sich wohl nicht übernommen. Dabei gefällt mir der Hintergrund ungemein: Der Protagonist Monkey flüchtet zu Beginn von einem Sklavenschiff, das ihn irgendwohin verschleppt will. Einem Zufall ist es zu verdanken, dass er entkommen kann und prompt auf die hübsche Trip trifft. Diese könnte glatt die kleine und technikvernarrte Schwester von Nariko aus „Heavenly Sword“ sein. Jedenfalls missbraucht sie den mit seinem Schal in der Tasche und körperlich arg mit Muskeln überzogenen und somit an einem Affen erinnernden Monkey auf fiese Art und Weise: Sie setzt ihm ein Sklavenstirnband auf und zwingt ihn dazu, ihm bei der Reise in ihre Heimat zu begleiten. Stirbt sie unterwegs, muss auch der Halbprimat das Zeitliche segnen. Monkey bleibt keine Wahl, er lässt sich auf den „Deal“ ein. Und die Odyssee durch eine zerstörte Erde 150 Jahre in der Zukunft kann beginnen. Beide Protagonisten gefallen mir äußerst gut, dennoch muss ich meckern. Monkey hinterfragt niemals die Aktionen von Trip. Er ist mehr der gutmütige und sympathische Kampfkoloss, der das macht, was ihm gesagt wird. Schlimmer noch: Im Verlauf der 14 Kapitel kommt es zu keinen nennenswerten Überraschungen. Dass das Dorf von Trip von den bösartigen Mechs überfallen wurde, damit rechnet ihr, wenn ihr nur ein paar ähnliche Spiele gezockt oder Filme geguckt habt. Und das Einführen des schrägen, aber prima dargestellten Sidekicks Pigsy führt zwangsläufig zu seinem heldenhaften Ableben. Einzig und allein das fantastisch inszenierte Universum und das wunderschöne Ende lassen erahnen, dass Garland sein Handwerk mehr als nur versteht. Für „Enslaved“ muss das Script aber nur aus ein paar Seiten bestanden haben, Emotionen kommen allgemein viel zu kurz und an Gesprächen zwischen den Figuren wurde auch gespart. Das ist enttäuschend, da der indirekte Vorgänger „Heavenly Sword“ deutlich anspruchsvoller und gefühlsbetonter war – also bezogen auf die Ereignisse innerhalb der gestrickten Fantasy-Welt. Und dass Monkey und Trip noch auf einem fetten Motorrad durch Endzeit-Schauplätze düsen, wirkt irgendwie albern. Bei einem „Brütal Legend“ war das glaubwürdig, aber hier?
Trotz meiner Nörgelei ist die Story von „Enslaved“ sicher tiefgründiger als der Genre-Einheitsbrei anderer Hersteller. Dank des Epilogs werdet ihr nach dem Durchspielen ein gutes Gefühl haben und den Titel positiv in Erinnerung behalten. Das können unglaublich viele andere Spiele nicht von sich behaupten! Jedoch kann ich die spielerischen Schwächen nicht völlig ausblenden.
„Enslaved“ hat mich über weite Strecken tatsächlich gelangweilt. Im Stil von „Uncharted“ oder „Prince of Persia“ klettert ihr mit Monkey in fast jedem Kapitel ständig und fast pausenlos auf irgendwelchen Objekten, Gebäuden oder Raumschiffen herum, um von A nach B zu gelangen. Das ist sogar ultrasimpel, schließlich müsst ihr den Analogstick nur in eine gewünschte Richtung bewegen und den richtigen Knopf drücken – abhängig davon, ob ihr nach oben oder unten wollt. Da ein Abstürzen grundsätzlich nicht möglich ist, bewegt sich der Schwierigkeitsgrad auf einem niedrigen Niveau. Da dieses Klettern eintönig und abgesehen von ein paar Passagen nicht gehaltvoll oder fordernd ist, freut ihr euch über jede noch so kleine Abwechslung. Und hier hat „Enslaved“ zum Glück ein wenig im Angebot. Zum einen wären da die Rätsel-Einlagen, bei denen von Anspruch nicht die Rede sein kann. Schließlich basieren sie zum Großteil auch auf dem Überwinden von Hindernissen oder dem Aktivieren von Schaltern. Viel besser gefällt mir die Action, bei der Monkey seine Fähigkeiten unter Beweis stellt. Ausgestattet ist er mit einem multifunktionalen Kampfstab und einem Schild, mit denen er gewaltige Roboter in Einzelteile schrottet. Das ist wirklich erstklassig präsentiert und bereitet Freude.
In meinen Augen kommen die Schlachten im Gegensatz zu den Kletter-Parcours viel zu kurz, es stimmt einfach das Zusammenspiel beider Aspekte nicht. Ihr werdet oft routiniert eine halbe Ewigkeit herumkraxeln, um zufällig eins, zwei Mechs zu treffen, die ihr dann ausschaltet. Auch ist es bedauerlich, dass wirklich erstklassige Spielideen unzureichend genutzt werden. So könnt ihr Trip über Funk Befehle geben, zum Beispiel das Einschalten von Apparaten oder dergleichen. Ebenso müsst ihr sie tragen oder an weiter entfernte Orte werfen, um so gemeinsam einen Zielpunkt zu erreichen. Fetzig ist weiterhin das Analysieren der Umgebung mittels einer elektronischen Libelle. Sie verrät euch, wohin es als nächstes geht und welche Feinde in einem Abschnitt lauern. Diese Taktik- und Vorhersage- Komponenten sind definitiv eine Bereicherung für das Action-Adventure, nur werden sie nicht konsequent eingesetzt. Stattdessen seid ihr ständig damit beschäftigt, herumliegende Orbs zu sammeln, mit denen ihr eure Talente oder den Stab pimpt. Und richtig zum Kotzen finde ich es, dass Ninja Theory sogar Spiel-Recycling betrieben hat. Unter anderem kämpft ihr mehrfach gegen einen monströsen Mech-Hund auf identische Art und Weise oder bezwingt mit den immer gleichen Strategien die vier, fünf Gegnertypen. Besagte Rätsel scheinen sich vom Grundgedanken sowieso ständig zu wiederholen. Ob ihr nun die Segel einer Windmühle aktiviert oder Befestigungen an einer Maschine entfernt, macht keinen relevanten Unterschied.
„Enslaved“ setzt euch viele Spielelemente vor, die für sich alleine schön und gut sind. Aber die Balance zwischen Geschicklichkeit, Action und Knobelei ist unausgewogen. Von dem einen zu viel, von dem anderen zu wenig – die Konsequenz ist spielerische Einfältigkeit. Der Witz ist aber, dass dies spätestens im letzten Kapitel in den Hintergrund rutscht. Dann erlebt ihr eine grenzgeniale sowie opulente Schlacht, die in der hervorragenden Endsequenz mündet, welche das Handeln der Akteure gekonnt infrage stellt. Ein befriedigendes Gefühl stellt sich ein – und plötzlich erstrahlt „Enslaved“ in einem sehr positiven Licht. Sogar die technischen Unsauberkeiten, gelegentlich unfairen Stellen und die seltenen Grafikfehler inklusive Tearing und Framerateinbrüchen sind dann fast vergessen.
Trotz der in meinen Augen berechtigten Kritik habe ich die acht verbrachten Stunden mit „Enslaved“ nicht bereut. Es war eben eine gute Spielerfahrung, bei der ich vor allem besagtes, verschenktes Potential bedauere. Vielleicht war es nur die zu hohe Erwartungshaltung, die ich nach „Heavenly Sword“ hatte. Dort stimmte das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Elementen ebenfalls nicht, und ich hoffte auf eine Besserung. Unabhängig davon kann ich „Enslaved“ empfehlen, wenn ihr nichts Einzigartiges oder Sensationelles erwartet. Dann werden euch die liebevoll ausgearbeiteten Helden und das prächtige, einzigartige Endzeitszenario so sehr gefangen nehmen, dass ihr über die Mängel zum Großteil hinwegsehen könnt.
Ich habe gestern die Demo gespielt und muss sagen, dass mir deine Hauptkritikpunkte auch ins Auge stachen, ich allerdings die Hoffnung hatte, dass sich das im Spielverlauf ändert. Das Nichtabstürzenkönnen z.B. ist mehr als ungewohnt und auch sonst sieht es alles in allem nett aus, wirkt aber so altbacken. Was aber wohl an der U3-Engine liegt (Korrigier mich, wenn ich da falsch liege). Auch die Tatsache, dass es wenig Kämpfe sein sollen, trübt das Ganze mächtig. Also wird es wohl auf die Mal-abwarten-wenn-es-billiger-ist-Liste rutschen und Erscheinungslöcher stopfen müssen…
Mal das krasse Gegenteil vom AreaGames Review. Aber finde ich gut so. Bin jetzt gerade beim Schrottplatz angekommen und muss sagen, stimme auch mehr diesem Review zu, wobei du vielleicht durch deine Erwartungen eeeetwas zuviel gebasht hast. ^^
Niklas, also so viel gebasht hab ich doch gar nicht. Ich meckere halt…und ich finde, das auch zurecht. Und letztendlich ist das Spiel ja keinesfalls Scheiße. Was hat denn AreaGames gegeben? Nen 90er?
Nein 8/10. Dafür heben sie das Storytelling meiner Meinung nach zu sehr in den Himmel. Deine "Mecker"-Punkte, (sowie du es gesagt hast ^^) sind ja auch vollkommen gerechtfertigt. Nur ich dachte mir so, dass durch deine Erwartungen vllt. etwas zu wenig die schönen Aspekte aufgefallen sind.
Denn es ist ja immer schöner eine 80% Wertung zu geben, wenn man positiv Überrascht wurde, als ne 80 % Wertung, wo man enttäuscht wurde.
Aber ich fands so mal ganz cool beide Seiten zu lesen :P.
Schönes Review! Bin ich im Nachhinein doch froh, dass ich mir Lords of Shadow und nicht Enslaved geholt habe. Als Budget Titel kommt es mir allerdings ins Haus. Schade, nachdem mir Heavenly Sword so gut gefallen hat, hätte ich auch ein wenig mehr erwartet.
Wie siehts eigentlich mit Castlevania aus? Ist da ein Review zu erwarten? Es gibt sehr gespaltene Meinungen zu dem Spiel, da würde mich eine von Polygamia schon interessieren.
Ich spiele derzeit auch Enslaved und bin gerade irgendwo im 7. Kapitel, aber bis dahin gefällt mir das Spiel ziemlich gut. Ja, die angesprochen Punkte im Review sehe ich zum grössten Teil ähnlich: Das Klettern ist sehr anspruchslos geraten, Beleuchtung und Texturierung der U3-Engine lassen viele Areale seltsam veraltet aussehen und den Charakteren wird nicht so viel Raum gelassen, wie man es sich bei dem eigentlich starkem Charakterdesign wünschen würde. Im Zusammenhang mit den Klettereinlagen und dem gegebenen Möglichkeiten zur Exploration finde ich auch die Kollisionsabfrage (ha ha!) absolut fürchterlich. Oft muss man erst den richtigen Punkt finden, an dem man von einer Plattform zur anderen Springen darf. Die Anzahl der unsichtbaren Wände ging mir vor allem zu Beginn gehörig auf den Keks.
Aber trotzdem: Ich finds gut. Und ich würde schon sagen, dass es einzigartig ist. Nicht im Bezug auf sein unausgewogenes Spielkonzept; zwischenzeitlich ist es vermutlich ziemlich schwer geworden überhaupt neue Konzepte überzeugend zu entwickeln und auszuführen. Nein, vielmehr haut mich bisher das gesamte Szenario und die Liebe zum Detail im Art Design ziemlich von den Socken. Die ersten Abschnitte in New York, wo sich die Natur die Stadt wieder zurückholt, sind trotz der nicht ganz optimalen Technik atemberaubend schön. Auch später in dem Dorf, welches aus Fragmenten asiatischer Großstadtslums zu bestehen scheint, gibt es viele Kleinigkeiten in der Umgebung zu entdecken. Beispielsweise, dass sich dort wohl jemand eine alte Couch und einen Sonnenschirm an die Klippe gestellt hat, um gelegentlich die Aussicht zu genießen ;)
Und die Musik! Sie kommt nicht oft vor, aber wenn sie einsetzt, dann höchst effektiv. Insgesamt muss ich sagen, dass mir die bisherige Atmosphäre sehr, sehr gut gefällt. Wirklich schade um die anderen Mängel, aber die haben mich bei Heavenly Sword ebenso nicht sonderlich gestört. Ich bin mir derzeit noch nicht ganz sicher, ob ich die Charakerdarstellung nun ausgereifter finde als in HS, aber ich finde die Figurenzeichnung – ganz Ninja Theroy-like – doch schon ziemlich beachtlich. Trip und Monkey reihen sich auf jeden Fall zu den wenigen Charakteren in der Videospielwelt ein, die auch tatsächlich Charakter haben.
Wenn ich das gesamte Spiel gesehen habe, werde ich mich in Form eines Artikels damit befassen. Und durch deinen Text bin ich auf das Finale nun doppelt gespannt. :)
@Alttaire: Also einen Castlevania-Bericht wird es hier nicht geben, außerdem kennst Du das Spiel ja jetzt schon. :) Dafür kommen in Kürze ein paar andere Texte.. :)
@Micha: Na, im Großen und Ganzen sehen wir es doch ziemlich gleich, denn Enslaved ist für mich auch ein gutes Spiel. Art-Design und Sound sind in jedem Fall klasse, in meinem Artikel bin ich aber auf die Dinge mehr eingegangen, die mich gestört haben und was ich am Schluss sozusagen gefühlt habe. Dass der positive Gesamteindruck überwiegt, liegt selbstredend an den Stärken von Enslaved!
Enslaved ist mal wieder ein typisches Beispiel für den Unsinn von Spielewertungen. Klar, Alan Wake, Mafia 2 und eben Enslaved hatten alle spielerische Mängel, aber ich würde keines von ihnen wieder hergeben. Story und Figuren haben für mich die ganzen Fehler ausgebügelt.