Eine Geisel von EA Sports packt aus

21. Januar 2012

Mitte der 90er Jahre war ich drauf und dran, ein von leichtem Irrsinn gezeichneter Eishockey-Fan zu werden. Angespornt durch einen meiner besten Freunde, der schon länger dem Puckfieber erlegen war, fuhr ich zusammen mit ihm Woche für Woche ins damalige Marox-Stadion im oberbayrischen Rosenheim, um den zu dieser Zeit dort ansässigen „Sportbund“ lauthals anzufeuern. Das schnellste Spiel der Welt hatte mich vollkommen im Bann! Ich war mir nicht mal zu schade, noch so dümmliche Fangesänge aus voller Brust mitzugröhlen: In meinem Repertoire waren Gassenhauer wie „Schiri, wir wissen wo Dein Auto steht – fahr Bus und Bahn, fahr Bus und Bahn!“ und „Zwei Minuuuuten, zwei Minuuuuten, zwei Minuuuuten sitzt Du Sau!“

Schließlich dauerte diese aktive Fanzeit – Gott sei Dank – nicht allzu lange an, was auch mit dem sportlichen Niedergang unseres Heimatklubs zusammenhängen mag. Die mittlerweile umgetauften „Starbulls“ hatten schließlich einfach kein Geld mehr und wurden somit in die Bezirksliga verbannt. Auch wenn sich der Club heutzutage wieder mehr oder weniger erfolgreich in der zweiten deutschen Liga hält, war doch damals der einzig nennenswerte Eishockeyverein in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Entsprechend sank auch meine Motivation erheblich, mich regelmäßig in die bibbernde Kälte einer Eishockeyarena zu begeben!

Was blieb, das war meine Faszination am Eishockeysport an sich! Allerdings habe ich mich selbst kaum mal auf Schlittschuhe gewagt. Meine zaghaften Versuche im Puckhandling endeten mit schmerzhaften Flugeinlagen auf dem heimischen Badetümpel. Dieser bot im Winter oftmals eine eigentlich ideale Spielfläche, wenn ich es denn verstanden hätte, mich etwas stabiler auf den Füßen zu halten. So schoss ich denn auch mein einziges Eishockeytor „in realitas“ im freien Flug und ließ dem gegnerischen Torwart nicht den Hauch einer Chance, da ich den Unglückseligen mitsamt des Pucks in sein Tor rammte.

Aber zu Hause wartete ja der PC, und just in diesen Tagen hatte sich Electronic Arts dazu entschlossen, ihre erfolgreiche NHL-Serie von den Konsolen auch auf DOS-kompatible Rechner zu übertragen. Hatten der oben bereits erwähnte Freund und ich uns bis dahin mit dem recht passablen „Wayne Gretzky Hockey“ von Bethesda unterhalten, brach mit „NHL 94“ eine neue Ära für uns an, die bis heute andauern und mich unaufhaltsam zu einem willigen EA Sports-Jünger machen sollte!

Helden wie wir

„NHL 94“ wischte bei seinem Erscheinen in Sachen Präsentation und Spielwitz mit der gesamten Konkurrenz den Boden auf. Das aus heutiger Sicht grafisch natürlich eher biedere Erlebnis aus der Vogelperspektive bot Eishockey in Reinkultur und eine für damalige Verhältnisse bestechende Stadionatmosphäre. Hinzu kamen umfangreiche Turnier- und Ligamodi, haufenweise Statistiken und viele grafische Gags (Abteilung „legendär“: Der Schiedsrichter, der, im vollem Lauf vom Puck getroffen, durchs halbe Stadion auf den Hosenboden rodelt). Da störte es wenig, dass EA beim Nachfolger „NHL 95“ schon die später berühmt-berüchtigte Recycling-Methode anwendete und einen nur minimal veränderten Nachfolger rausbrachte. Das offenbar dahinter steckende Kalkül, die willigen Käufer alle Jahre wieder zur Kasse zu bitten, ging bei mir damals schon auf, und das sollte bis zur heutigen Zeit auch beinahe ununterbrochen so bleiben!

Zunächst erschien aber im Jahr 1995 „NHL 96“ und damit der wohl größte Quantensprung in der Darstellung von Sportspielen. Die vollmundig als „Virtual Stadium“ angekündigte Grafikengine hielt, was sie versprach und ließ bei meinem Freund und mir durch die frappierend authentische 3D-Darstellung einer Eishockeyarena die Münder minutenlang offen stehen. Zudem war und ist „NHL 96“ bis heute noch das Maß aller Dinge, was die Spielbarkeit an sich angeht. Keine später erschienene Version hat den Eishockeysport und dessen Faszination und Spannung so perfekt umgesetzt wie dieses Meisterwerk. Und das Intro zu „NHL 96“ gehört in die „Hall of Fame“ der Einleitungssequenzen, da sie elektrisierende Stimmung in einer Hockeyarena nahezu fühl- und spürbar einfängt!

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Das Intro von NHL 96 weckt Erinnerungen. An eine bessere Zeit?Kurzum, wir fühlten uns mit „NHL 96“ wie im Eishockeyhimmel, zockten eine Meisterschaft nach der anderen durch (natürlich immer volle 82 Saison-Spiele und Best-of-Seven in den anschließenden Playoffs) und feierten den ersten wirklich hart erkämpften Stanley-Cup mit unserem damaligen Wahlteam – den New Jersey Devils – stilecht mit einer Flasche Sekt!

Da hat’s mal wieder im gegnerischen Tor geklingelt…

Hierzu muss erklärend erwähnt werden, dass es die „NHL“-Serie von Anfang an erlaubte, zu zweit im gleichen Team zu spielen, was wir dankbar annahmen. Als Folge trieben wir uns gegenseitig zu Höchstleistungen an, ermahnten den anderen zur Konzentration, litten gemeinsam bei knappen Niederlagen und jubelten lautstark bei jedem Tor – zum Leidwesen unserer Familien, zahlreicher Nachbarn und des ein oder anderen Möbelstücks! An dieser Stelle möchte ich einem nicht mehr ganz taufrischen Korbstuhl gedenken, der einer besonders frenetischen Jubelaktion meinerseits nicht standhalten konnte und seine Strukturschwächen durch die völlige Auflösung seiner Sitzfläche offenbarte. Unser Leben wurde derart von diesem Spiel beeinflusst, dass ich zum Geburtstag von meinem Kumpel einen Kuchen mit Devils-Logo bekam – als freundliche Erinnerung zur errungenen „virtuellen“ Meisterschaft!

Der Siegerkuchen inklusive Devils-Logo

Mit den Nachfolgern von „NHL 96“ entwickelte sich ein Paradoxon: Die neuen „NHL“-Spiele mit runden Jahreszahlen waren überwiegend hervorragend und brachten auch objektiv genügend Neuerungen, um die Neuauflage zu rechtfertigen. Spiele mit ungeraden Jahreszahlen fielen hingegen entweder nur durch marginale Veränderungen auf oder missglückten vollends. Das unrühmlichste Beispiel hiervon war das völlig verkorkste „NHL 97“, dessen tolles Intro nicht über die enttäuschende Qualität hinwegtäuschen konnte – gerade im Vergleich zum nahezu perfekten Vorgänger! Immerhin feierte in dieser Ausgabe der Live-Kommentar während der Spiele seine Premiere, doch was half’s, wenn am Ende nach jeder zweitem Partie der Absturz drohte!

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Und weiter ging es mit NHL 97Trotzdem blieb meine Sehnsucht nach der neuesten „NHL“-Ausgabe ungebrochen. Es war ein Ritual, auf das ich mich zusammen mit meinem Freund jedes Jahr aufs Neue freute – eine Art zweites Weihnachten, so verrückt das auch klingen mag! Und wir wurden ja auch immer wieder belohnt und entschädigt, denn auf das grausige „NHL 97“ folgte eine tolle 98er-Ausgabe, und nach einem uninspirierten „NHL 99“ erschien das grandiose „NHL 2000“.

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NHL 98….ein toller Jahrgang!Und doch – irgendwann rund um den Jahrtausendwechsel machte sich endgültig der Stillstand bei EA Sports breit! Zwar konnte uns die 2001-Ausgabe noch überzeugen und bewies damit, dass die Entwickler den Fluch der ungeraden Zahlen durchbrechen konnten. Aber das letzte Quentchen Faszination, was uns die Jahre zuvor zu „digitalen Sportfanaten“ gemacht hatte, ging mehr und mehr verloren.

Natürlich begaben wir uns auf Ursachenforschung, diskutierten oft und ausgiebig über unser liebstes Kind und kamen so auf einige Gründe für den schleichenden Niedergang: So verschwanden nach und nach die lieb gewonnenen Gags aus den Spielen. Konnte man anfangs noch den Schiedsrichter umrempeln, Gegner über – oder im Extremfall sogar durch – die Bande checken oder die Plexiglasscheiben an der Arenaumrandung mit einem kräftigen Schlagschuss zerdeppern, fiel all das am Anfang der 2000er-Generation der Schere zum Opfer. Es schlichen zudem immer öfter unschöne Fehler ein – sei es bei den Statistiken, in der Menüführung oder im Spiel an sich. Letzteres wurde besonders eindrucksvoll in „NHL 2007“ deutlich, in dem ein Schlagschuss vom rechten Rand der Mittellinie unweigerlich zum Tor führte, was das Spiel an sich absurd erschienen ließ.

Dann war da noch das eigentliche Spielgefühl, das mehr und mehr zum Arcade-Hockey mit Prügelfaktor verkam. Das Tempo wurde immer höher, die Schlagschussfrequenz immer irrwitziger und die Gegner kippten schon beim Anhauchen aus ihren Eisstiefeln! Das Spielgeschehen wurde eher vom Prinzip „Schellen mit Kellen“ bestimmt, denn durch durchdachte Spielzüge, weil dies auch gar nicht mehr vorgesehen war. Gleichzeitig ließ sich die künstliche Intelligenz der Mitspieler immer neue Varianten einfallen, um den Spielaufbau gekonnt zu durchkreuzen. Einzelaktionen wurden zur erfolgsversprechendsten Vorgehensweise, was dem Teamgedanken beim Eishockey selbstverständlich völlig zuwider läuft.  Von den ehemals taktisch packenden Partien eines „NHL 96“ entfernte sich EA Sports immer mehr!

Die sinkende Qualität der „NHL“-Reihe zu Beginn des neuen Jahrtausends ließ sich auch an den Intro-Filmen gut ausmachen: Vorbei war die Zeit, in der die Einleitung aus einem Zusammenschnitt aus packenden Realspielszenen bestand, der mit treibender Musik untermalt wurde und in keiner Weise von einer TV-Übertragung unterschieden werden konnte. Irgendwann gab es nur noch dümmliche „EA Sports – It’s in the Game“-Kommentare, die von mehr oder weniger motivierten NHL-Profis in die Kamera genuschelt wurden, bis schließlich das Intro gänzlich verschwand.

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Tja, und NHL 2004…Und so geschah das für mich Undenkbare: „NHL 07“ führte zum Bruch mit der Serie, zumal EA zu diesem Zeitpunkt die PC-Version förmlich ausbluten ließ, indem über mehrere Versionen nur noch eine uralte Engine der PlayStation 2 verwendet wurde. „NHL 09“ war dann auch der letzte Teil der Serie, der für Windows erschien, aber das berührte meinen Freund und mich zu diesem Zeitpunkt herzlich wenig. Wir hatten uns bereits ein paar Jahre zuvor mit Wehmut und Unverständnis über das Verhalten von EA Sports von unserem einstigen Liebling verabschiedet!

So hätte meine NHL-Historie also enden können, wenn ich mir nicht 2009 eine PS 3 angeschafft und im Ramschregal eines Kaufhauses „NHL 10“ entdeckt hätte. Erfüllt von nostalgischen Gefühlen griff ich zu, ohne mir wirklich was zu erwarten, doch wurde ich damit von EA Sports kalt erwischt – im durchaus positiven Sinn! „NHL 10“ zeigte sich für mich, der ich nur noch die veraltete PC-Engine von „NHL 07“ im Gedächtnis hatte, technisch von einer höchst beeindruckenden Seite. Viel wichtiger aber war, dass spielerisch Erinnerungen an selige „NHL 96“-Zeiten wach wurden. Spieltempo und Schusshäufigkeit waren deutlich reduziert worden, was zusammen mit neuen Feinheiten und Finessen endlich wieder ein authentisches Eishockey-Erlebnis hervorbrachte. Somit musste sich meine Familie plötzlich daran gewöhnen, dass Daddy Stunden vor der Konsole verbrachte und Pucks über das Eis drosch. Glücklicherweise ließ sich das alles auch im Stehen und mit einem Tragetuch für den eben geborenen Säugling bewerkstelligen, sodass sich Kinderhüten und Spielvergnügen nicht gegenseitig ausschlossen. Nur mein langjähriger NHL-Partner konnte die Wiedergeburt der alten Faszination nicht gebührend mit mir feiern, da uns unsere Wege geographisch weit voneinander entfernt hatten. So blieb mir nur, ihm regelmäßig die Ohren am Telefon vollzuschwärmen und zu versuchen, ihn zur Anschaffung einer PS3 zu bewegen, wovon er inzwischen auch nicht mehr allzu weit entfernt zu sein scheint.

Sohn schläft im Tuch, Vater schwitzt auf dem Eis

Nach dieser „Renaissance“ verfiel ich wieder in das altgewohnte Muster und kaufte ohne mit der Wimper zu zucken die Nachfolgeversionen. Enttäuscht wurde ich dabei generell nicht! „NHL 11“ brachte den „Be a Pro“-Modus und somit mir die Chance, mich als einzelner Spieler in einem Team zu etablieren. Dass dabei auch Erfahrungspunkte und Steigerungen von Fähigkeiten eine Rolle spielten, konnte einem Rollenspielfan wie mir nur recht sein. Und das derzeit aktuelle „NHL 12“ hat große Fortschritte bei der Puckphysik und dem Verhalten der Gegner bei Kollisionen gemacht. Nicht nur das: Plötzlich lassen sich diese Plexiglasbanden wieder mit dem Puck zerschießen! Lache, altes Spielerherz…

Doch ist mit der jüngsten Inkarnation auch wieder die Furcht vor der Stagnation und dem schleichenden Verfall der Serie zurückgekehrt. Zum einen hat sich bei „NHL 12“ optisch und inhaltlich bis auf die erwähnten Punkte praktisch nichts im Gegensatz zum Vorgänger getan. Zum anderen sind ein paar schöne Features aus dem Vorgänger unverständlicherweise weggefallen, wie zum Beispiel die seit „NHL 94“ übliche Zeremonie für die drei besten Spieler eines Matches. Es gibt leider wieder einige unschöne Programmfehler, die teilweise im höchsten Maße spielbeeinflussend sind!

Selbst wenn ich also wieder zum glühenden „NHL“-Anhänger geworden bin und mich schon jetzt auf die diesjährige Ausgabe freue, muss mir EA Sports erst noch eindeutig beweisen, dass sie den ehemals verlorenen Weg wieder beschreiten können. Für die Wochen und Monate, die ich insbesondere in den 90er Jahren mit der „NHL“-Reihe zugebracht habe – und für all die wunderbaren Spielmomente in dieser Zeit – werde ich EA aber auf ewig dankbar sein!

And now – let’s play some hockey!

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3 comments on “Eine Geisel von EA Sports packt aus

  1. orschd Jan 21, 2012

    Super Artikel Sebbl ! Schön Dich hier zu lesen :)

  2. Chris Mrz 27, 2012

    Geiler artikel!
    Kann mich mit allem vergleichen da ich meine Jugend auch mit NHL zocken und Eishockey{als Spieler)verbracht habe!
    Falls einer auf der Ps3 online spielt kann er mich gerne herrausfordern! Meine addy soccercasual@hotmail.de oder casual2211
    Let’s play phisical hockey

    • Hi Chris,

      freut mich, dass ich Dich mit meinen Jugenderlebnissen irgendwie ansprechen konnte.

      Ich spiele das neueste NHL 12 momentan nicht online, da der Online-Modus wohl immer noch übelst verbuggt ist und ständig abstürzt. Ich hoffe aber, dass sich das mit dem neuesten Jahrgang ändert und wir dann vielleicht doch mal ein Spielchen wagen können.

      Helm- und Stockbruch wünscht

      Sebastian!