Das Erste, was mir zum Spiel einfällt: furchtbar verkopft. “Deus Ex Human Revolution” schreit laut, bissig und leider auch ziemlich verkrampft nach dem Titel “Game of the Year”. Alles soll besser sein als bei der Konkurrenz. Anders ausgedrückt: Es will zu viel.
Selbstverständlich gibt es jedes Jahr solche Titelaspiranten. Manche Spiele wie “Bioshock” oder “Little Big Planet” erfüllen die Erwartungen, andere wie “Oblivion” oder “Killzone” eben nicht. Daneben hält die Branche Überraschungen parat. Bei Spielen wie “Batman: Arkham Asylum” oder “Darksiders” hat wohl niemand mit einem Kritikererfolg gerechnet. Sie wurden von ihren PR-Agenturen nicht in den Vordergrund gerückt und mussten niemandem etwas beweisen. “Deus Ex: Human Revolution” trägt schwer an dieser Bürde.
Bitte nicht gleich falsch verstehen: Das Cyberpunk-Abenteuer um Betrug, Verschwörung und Moral ist beileibe kein schlechtes Spiel. Es ist ein Schleich-Shooter mit Rollenspielelementen, es gibt viel zum Ausprobieren und die Musik ist grandios. Schlauchlevel oder sinnloses Geballer im Stil von “CoD” sucht ihr vergebens. Bei jedem Missionsziel gibt es unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten abhängig von den Augmentierungen der Hauptfigur Adam Jensen. Diese Augmentierungen oder Körperupgrades bilden den Kern des Spiels. Andere würden sie “Gadgets” nennen. Computerhacken, mit Fäusten durch Wände hauen oder sich unsichtbar schalten – es existieren unzählige Erweiterungen zum Experimentieren. Dennoch will bei mir der Funke nicht überspringen. Die Atmosphäre ist mir zu kalt und steril, das Schicksal der Hauptfigur ist mir egal und die Story verpufft rasch in allerlei Klischees.
Das etwas abgegriffene Hintergrundszenario über wirtschaftliche und politische Verschwörungen stört mich nicht besonders. Die Autoren haben ihre Gibsons und Stephensons gelesen und zelebrieren die Dystopie vom Transhumanismus. Ob die leblosen Straßen und Bewohner in dieser düsteren Szenerie eine tiefere Bedeutung haben, weiß ich nicht. Laut einem Interview mit SPON haben die Macher sogar genau überlegt, was bald machbar sein wird. So weit, so gut. Aber neu ist das nicht.
Zudem sind Story und Spielmechanik einem gewissen Realismus untergeordnet. Alles soll erklärbar, authentisch und glaubhaft sein. So fehlt die genretypische Ironie, es sind keine übertriebenen Actionszenen vorhanden und jede Bewegung der Hauptfigur muss gut überlegt sein. Kurz, es will verdammt ernst genommen werden. Da kann ein Geräusch oder ein unüberlegter Blick zu viel sein. Jede Situation soll mich vor neue Herausforderungen stellen und jedes Upgrade muss mir die Interaktion mit der Umgebung ermöglichen. “DX:HR” möchte mehr, origineller und besser sein als der Rest Spielewelt. Es ist ein Spiel, das Superlative erzwingen will.
Trotzdem setzen die Entwickler mir unverständliche Grenzen. Wieso kann ich im Kampfanzug harmlos mit einer Wache quatschen, mich zwei Meter neben ihm unsichtbar machen und dann unbemerkt durch die Lichtschranke schlüpfen? Hinter manchen Kisten kann ich mich verstecken, aber hinter anderen wiederum nicht? Die K.I. verhält sich grundsätzlich merkwürdig. So hinterlasse ich zwar einen Raum voller Leichen, die entdeckt werden, aber schon nach kurzer Zeit schalten die überlebenden Wachen wieder in den Ahnungslos-Modus. Für mich sind das allesamt Atmosphärekiller.
Die unrühmliche Krönung sind die Bosskämpfe. Sie sind teilweise frustrierend. Natürlich könntet ihr jetzt behaupten, dass ich zu blöd dafür war. Tatsächlich sind hier aber nicht nur Geschick und Taktik entscheidend, sondern die richtigen Upgrades. Um Missverständnisse auszuschließen – es geht hier nicht um “ist es zu hart, bist du zu schwach”, sondern um Frust und Glück. Ein Endgegner tötet euch in Sekunden, wenn ihr nicht besser gepanzert seid, bei einem anderen würde ein EMP/Elektrizitätswiderstand helfen. Einmal falsch geskillt und ihr seid bei den Bosskämpfen auf der Verliererseite. Vielleicht liegt es daran, dass die Bosskämpfe nicht von Eidos Montreal selbst, sondern von dem externen Entwicklerstudio GRIP entwickelt wurden? Auch ärgerlich: dieses umständliche Navigieren im Inventar. Das Spiel schaltet zwar sofort auf Pausenmodus, wenn ich im Kampf die Waffen austausche (passiert häufig), aber danach muss ich langwierig (=realistisch) nachladen?
Manche werden sagen: “Ist halt nur für Profis!” Aber Hand aufs Herz – warum hätte man einem Hacker und einem Waffenexperten nicht die gleichen Chancen einräumen können? Am Ende muss sich “DX:HR” an seinem eigenen Ansprüchen messen. Wer so viel Begehrlichkeiten weckt, sollte sie auch erfüllen können.
“Auch ärgerlich: dieses umständliche Navigieren im Inventar. ”
???
Wo ist da was umständlich? Zumindest in der PC-Version kann ich dieses Urteil nicht nachvollziehen. Die Schnellleiste macht da vieles leicht zugänglich. Weiß nicht, wie es mit den Konsolenversionen aussieht.
Generell ein zu überkritisches Sehr-Kurzreview über ein Spiel, dass sicher nicht alles richtig macht, aber in Summe wirklich eine gute Figur abgibt. Dass du die Atmosphäre mit “zu kalt, zu steril” bewertest, find ich auch etwas verwunderlich. Ich glaube, dass die Entwickler mit der Erstellung der Spielwelt genau das beabsichtigt haben. Eine kalte, künstlich sterile (aber trotzdem ansehnliche) Welt in der Zukunft (wobei es auch einige Ausnahmen gibt). Wo ist da das Problem? Lieber farbenfrohe Regenbogenwelt? Die Spielwelt passt auf das Deus Ex-Franchise für mich wie die Faust aufs Auge.
Die Bosskämpfe sind tatsächlich (von der Originalität her) nicht so gelungen, aber unschaffbar? Mein Gott, dann muss man es halt mehrere Male probieren. Die Kämpfe sind schwer, aber beileibe nicht unschaffbar. Sieht man mal wieder, wie “verweichlicht” die heutige Gamer-Szene ist. Und “Verskillen” kann man auch nur schwer…meiner Meinung nach, sind sämtliche Fähigkeiten, die nützlich im Kampf sind, überaus gut gebalanced. Ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl, dass ich da falsche Entscheidungen getroffen habe. Und wenn man permanent solchen Skills aus dem Weg geht, ist es nicht verwunderlich, dass ich mich gegen die Bosses besonders schwer tue.
MMn konzentriert sich dieser Artikel etwas zu sehr aufs Negative und vergisst, dass es immer noch ein äußerst ambitioniertes Spiel mit interessanten Dialogen, Gameplaymöglichkeiten und offener Spielwelt in einem überaus bedrückendem Universum in der Zukunft ist. Das Spiel stellt einem die spannende, moralische Frage “Wie weit darf der Mensch mit seinem eigenen Körper gehen?”.
GOTY? Wohl nicht. Ich finde auch gar nicht, dass Deus Ex: HR das unbedingt sein will.
Tolles Spiel, in das man eintauchen und stundenlang Spaß haben kann? Definitiv.
Nee, verweichlicht bin ich wirklich nicht. Ich finde nur, dass ein Spiel fair sein muss. Die Bosskämpfe sind nun wirklich mies und da stehe ich mit meiner Meinung nicht allein da. Das Balancing ist hier total vermurkst und die Kämpfe wirken wie Fremdkörper im gesamten Spieldesign.
Die Städte sind ein Witz und ich kann sie komplett in wenigen Minuten durchlaufen. Sie sind bevölkert mit den ewig gleichen Bewohnern, die sich teilweise sogar im Takt bewegen. Dystopie hin oder her – realistisch ist das nicht. Eine offene Spielwelt kann ich nur in Ansätzen erkennen.
Thema Skills: Ich wollte das Spiel auf die “sanfte” Tour beenden. Das funktioniert bis zu den Endgegnern ohne jegliche Probleme. Warum soll ich meine Panzerung, Stärke usw. erhöhen, wenn es bis dahin ohne Probleme klappt? Mach dir doch mal den Spaß und schlage den Weg des Hackers ein. Dann bin ich mal auf deine Meinung gespannt.