Ich möchte eines klarstellen: Egal, was jetzt kommt und wie sehr ich auch schimpfen werde, Óscar Araujo ist ein Genie. Er ist ein Meister des orchestralen Videospielsoundtracks und das Beste (!), was der “Castlevania“-Serie je passiert ist. Sein epochaler wie gleichzeitig einfühlsamer und ungewöhnlich erinnerungswürdiger Score für “Lords of Shadow“ war keine Eintagsfliege, was der Spanier mit dem offiziellen Sequel beweist. Araujo gibt dem Chor genau die richtige Lautstärke und exakt die richtige Frequenz, mit der er gleichzeitig für Bombast und klug dosierter Zurückhaltung sorgt. Allein dank “Titanic Struggle“ sticht er in Hans Zimmersche Regionen vor, was den langsamen aber stetigen Aufbau einer monumentalen Actionsequenz anbelangt, und kreuzt es mit einer unvergleichlichen Hommage an Howard Shore.
Drehen wir die Zeit kurz zurück: Fast zwei Monate lang habe ich mich wie ein Eremit gefühlt, der kaum etwas von der Welt der Videospiele mitbekam. Vier Guides durfte ich schreiben, angefangen mit dem ungewöhnlich biestigen “Lightning Returns“ und endend mit dem Monster aller Let’s Player persönlich, das sich “Dark Souls 2“ schimpft. Zumindest für Letzteres genoss ich die Schützenhilfe eines echten Fans, der die bösesten Endbosse gefühlt fünf Stunden früher knackte, als ich das je zu leisten vermocht hätte. Und obwohl ich folgerichtig nur einen Bruchteil selbst spielte, so bemerkte ich beim parallelen Spielen des ebenfalls auf dem Schreibtisch liegenden “Castlevania – Lords of Shadow 2“ eine erstaunliche Entwicklung: Wer dank “Dark Souls“ getrimmt ist, für den wird alles andere zur Fingerübung.
Die “harte Schule“ der Videospiele
Erinnert sich noch jemand an mein Gejammer bei “Metal Gear Revengeance“, dass solche Titel wie “Tomb Raider“ oder “Dead Space 3“ genau das Gegenteil bewirkten? Dass ich aufgrund der Vercausalisierung immer verweichlichter werde und schneller überforderter sei? “Dark Souls 2“ ist wie eine Antidroge gegen das Phänomen. Genau wie seine Vorgänger verzeiht es keine Fehler, macht minutenlange, schweißgetränkte Bosskämpfe mit einem Hieb zunichte und bekämpft trotzdem jedes Gefühl der Frustration mit einem “Verdammter F*ck, das muss doch irgendwie gehen!“. Aufgeben ist keine Option, dafür schwillt der immer härter werdende Durchbeißwille an. Und wenn es dann geschafft ist, dann fühlst du dich wie Gott persönlich.
“Dark Souls 2“ ist alles andere als perfekt und der Reiz speziell im Vergleich zum Vorgänger eine Stufe niedriger. Die meisten Gebiete oder Bosse wirken nicht “neu“, sondern wie Brüder und Schwestern altbekannter Gegenden und Widrigkeiten. Die Regisseure Tomohiro Shibuya sowie Yui Tanimura gingen kaum Experimente ein und geben dem Fan einfach das “Gleiche“ wie vor drei Jahren, nur anders arrangiert. “Dark Souls 2.0“ wäre der ehrliche Name gewesen, aber zum Glück ist die Souls-Serie (noch) so einmalig, dass das Recycling weniger ins Gewicht fällt als beispielsweise bei einem Weltkriegsshooter.
Wirklich böse bin ich den Jungs nur wegen der Art Direction und der Gebietsverknüpfungen: Wo ich im Vorgänger durch solch atemberaubende Settings wie einen riesigen hohlen Baum klettere oder reihenweise Abkürzungen und alternative Pfade zu alten Regionen entdecke, da ätzen meine Augen im Nachfolger dank solch bemerkenswert hässlicher Umgebungen wie dem Schattenwald. Erst gegen Ende wird das Spiel hübsch, wenn große Schlösser und glühende Lava die Kulisse dominieren. Der eher sternenförmige Aufbau der Levels, die kaum miteinander gekreuzt sind, ist hingegen ein klarer Rückschritt gegenüber dem Metroidvania-artigen Designstreich aus “Dark Souls“.
Sei es drum: From Software hat vielleicht diesmal nicht alles so grandios gemacht, aber wir sind auch ein wenig verwöhnt und man kann schließlich nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Genau das hat Enric Álvarez bei “Lords of Shadow 2“ probiert. Und liebe Kinder, nicht erschrecken: Aber jetzt werde ich böse, so richtig böse. Ich bin ein altergrauter Fan der Serie, der selbst den strittigsten 3D-Experimenten für Nintendo 64 oder PlayStation 2 etwas abgewinnen konnte und bis zum heutigen Tage das erste “Lords of Shadow“ vehement verteidigt. Doch was die Spanier von Mercury Steam hier abgeliefert haben, das geht absolut rein überhaupt gar nicht.
Ein ganz düsterer Lord
Schön, ich spiele Dracula persönlich – das ist eine coole und längst überfällige Idee gewesen, gerade in Anbetracht des brillanten Twists des Vorgängers. Fein, das Spiel wechselt regelmäßig zwischen zwei Zeitebenen, die ein klassisches “Castlevania“-Gefühl mit einer mutigen Portion Science-Fiction kreuzen. Prima, das gesamte Spielgebiet ist groß, verzweigt und besteht nicht mehr aus einzelnen Levels. Bis zum Ende kann ich überall hinlaufen und jederzeit zurück marschieren. So hat es der “Symphony of the Night“-Enthusiast auch am liebsten, was soll da noch schief gehen?
Als die erste Schleichsequenz auf dem Programm stand, da hab ich das Debakel noch gar nicht realisiert. Da sind also irgendwelche fetten Wächter, die Dracula, DEN UNSTERBLICHEN FÜRST, mit ihrer Wumme und ohne Chance auf Gegenwehr einfach abknallen. Bämm, Restart, bitte zurück zum Checkpoint. Ich kann mich in eine Ratte und später noch in Nebel verwandeln, um ungesehen von A nach B zu kommen. Die Gebiete, in denen ich schleichen muss und nicht gesehen werden darf, beschränken sich bis auf eine Ausnahme auf kleine, mickrige, karge Räume.
Keine Ahnung, was Álvarez geritten hat. Wie zum Geier kommt der Mann auf die Idee, das “Castlevania“-Fans nach fast 30 Jahren plötzlich feige Katz und Maus spielen wollen? Und das auch noch, wenn sie endlich den Badass-Vampir überhaupt spielen dürfen? Das geht einfach nicht in meinem Kopf. Rekordverdächtig bescheuert wird es dann bei der erwähnten Ausnahme, in der ich ein (zum Glück überschaubares) Labyrinth durchqueren und dabei von einem Widersacher namens Agreus verfolgt werde. Überall liegt Stroh auf dem Boden… äh… ich meine rotes Laub. Sobald ich mit der pingelingsten Kollisionsabfrage der modernen 3D-Ära auch nur einen Viertel Schritt auf dieses beknackte Laub trete, saust Mister Obercool heran und rammt mir seine Lanze durch den Körper. Danach folgt eine kurze Abblende und ich stehe wieder am Anfang des Labyrinths.
Leute, ich bin echt der Letzte, der solche erzähltechnischen Missgriffe auf Teufel komm raus anprangert. Aber ich hab nicht einmal verstanden, ob Dracula bei diesem buchstäblichen Fehltritt gen Jordan befördert wird und das Spiel einfach die Zeit zurückdreht oder der fette Agreus mich aus purer Boshaftigkeit zurück zum Startpunkt wirft, anstatt mich fachgerecht zu verprügeln, gefangen zu nehmen oder sonst etwas mit mir anzustellen.
Der blanke Hohn folgt zum Schluss: Wenn ihr euch durch das Labyrinth gequält habt, dann folgt ein Bosskampf gegen, ihr ahnt es schon, Agreus. Nochmal zum Mitschreiben: Da steht ein dickes Monster vor mir, droht mich zu vernichten, macht mir die Hölle heiß, wenn ich durch sein dämliches Labyrinth laufe, durchbohrt mich dutzendweise mit seiner fetten Lanze und dann muss ich einfach gegen ihn kämpfen, so als ob all das vorher nicht passiert sei. Häh? Was? Bitte? Ist das euer Ernst?
Der feine Unterschied zwischen herausfordernd und nervtötend
Der Kampf selbst ist genau wie nahezu alle anderen Endgegner des Spieles eine Fingerübung, eben wenn man vorher “Dark Souls 2“ gespielt hat. Zwar sind die Bosse bedeutend schneller im Vergleich zum Rollenspiel von From Software, aber ein Fehler wird eben nicht sofort mit dem Tod bestraft – einfach weil Draculas Energieleiste viele Treffer einsteckt. Aber ansonsten ähneln sich die beiden Spiele in Punkto Bossfights frappierend: Hinlaufen, Gegner umkreisen, Angriff abwarten, kontern, durchhalten bis zum Ende. “Dark Souls 2“ ist deshalb eine gute Übung, weil es relativ langsam und dafür unbarmherzig ist. So kann ich lernen und werde gleichzeitig auf Fehlerlosigkeit getrimmt. Für “Lords of Shadow 2“ muss ich die gleichen Mechanismen abrufen und nur eben schneller abarbeiten.
Einzig für die letzten beiden Bosse hab ich den Schwierigkeitsgrad auf Leicht gestellt – einfach weil es mir zu dumm wurde. Erde an Mercury Steam: Es ist stinklangweilig, mir einen Endgegner vor den Latz knallen, der ständig die gleichen Flik-Flack-Übungen macht und dabei eine Ausdauer besitzt, als ob ich mit einem Löffel eine Betonmauer einschlagen müsste. Der vorletzte Endgegner (dessen Namen ich aus Spoilergründen verschweige) nervt mich über drei Phasen hinweg, die jeweils ungefähr so lange dauern wie ein Standardboss in “Dark Souls 2“ und in denen der besagte Fiesling gerade mal einen einzigen neuen Trick auspackt.
Dazwischen muss ich auch noch ein paar 08/15-Kreaturen auf die Matte legen und dabei mit den mir gegebenen Features meine Energien auffrischen, was den ganzen Scheiß nur weiter in die Länge zieht. All dies nimmt groteske Ausmaße an, wenn ich meine Waffen kaum bis gar nicht aufgelevelt habe, wofür ich wiederum wie in einem MMORPG stupide Monster verprügeln und dabei ewig oft die immer gleichen Manöver ausführen darf, anstatt im eigentlichen Spiel voranschreiten zu können.
Ob mich noch was aufregt? Bei Gott, ja: Erinnert sich noch wer an die Helios-Kopfabreis-Nummer aus “God of War 3“, die vor ein paar Jahren für eine neue Gewaltdiskussion in Spielen sorgte? Es ist ein Kindergeburtstag gegenüber dem, was “Lords of Shadow 2“ zu bieten hat. Da werden Köpfe in Großaufnahme zu blutigem Brei zermatscht oder einem dicken, hässlichen Schurken das Gesicht abgeschnitten – was so widerlich aussieht, wie es sich anhört. Klar, ich bin jetzt Dracula… aber das… muss… echt… nicht… sein.
Ehre, wem sie gebührt. Und Schelte, wer sie verdient
Insofern hat “Dark Souls 2“ mich noch etwas anderes gelehrt: Wie man es richtig macht. Ich bin zwar ein Freund von Innovationen und Experimenten, aber wenn einem nix einfällt, dann sollte man besser beim Altbewährten bleiben. Das haben Shinbuya und Tanimura gemacht, dafür verdienen sie vielleicht keine Medaille, aber ein gut gemeintes Schulterklopfen á la „Danke, dass ihr das Erbe von Hidetaka Miyazaki respektiert“. Álvarez hingegen gehört der Hintern versohlt, weil er “Castlevania“ zuerst mit dem wunderschönen “Lords of Shadow“ eine ernsthafte Zukunftsperspektive in 3D verschafft und diese nun dank unnötigem Quatsch wie dem Schleichzwang oder dem Labyrinth völlig kaputt gemacht hat. Das zaghaft aufgebaute Vertrauen innerhalb der Gemeinde, die instinktiv bei dem Gedanken an “Polygone in Castlevania” zusammenzuckt, ist endgültig futsch.
Mein Rat: Kauft den Score von “Lords of Shadow 2“ und spielt während des Hörens “Dark Souls 2“. Alles andere mach keinen Sinn, wenn man auf Spielspaß und Unterhaltung steht.
Lords of Shadow 2 werde ich mir irgendwann mal als Budgettitel gönnen. Ich mochte den ersten und der zweite hat zwar durchwachsene Kritiken aber eben nicht ausschließlich negative bekommen.
Dark Souls und alle Titel der Serie sind hingegen Spiele für Fans. Eine kleine elitäre Sparte. Die Grafik ist gruselig, gerade auf dem PC ein schlechter Witz, das Spieldesign aus der Hölle. Es nennt sich Rollenspiel hat aber damit genau so viel zu tun wie Crysis – nämlich gar nichts. Es gibt keine relevante Story, das Spiel ist eine Aneinanderreihung von schweren Kämpfen, es ist eigentlich ein Beat em up.
Es richtet sich an “Erfolgsspieler”, Leute die Wettkampf und Herausforderung lieben. Spieler die gerne Spaß und Entspannung und eben besagte Story möchten, so wie ich, die machen einen GROSSEN Bogen um den Titel, egal wie er abgefeiert und gehypt wird.