Wenn Spieleentwickler die Schnauze voll haben und mal etwas völlig anderes machen wollen, bei dem jeder seriöse PR-Manager entsetzt die Hände über den Kopf schlagen würde, dann entsteht so etwas wie “Antichamber“. Bereits der Name klingt ungelenkt und unnatürlich. Er schreit regelrecht heraus: “ICH BIN ANDERS!“
Die Welt von “Antichamber“ ist erdrückend weiß und erinnert an einen frei begehbaren Traum von M.C. Escher. Ihr wisst schon: Das war dieser Künstler, der in seinen Bildern gerne optische Täuschungen zur Aushebelung von Naturgesetzen zweckentfremdete. Oder anders ausgedrückt: Er brach für seine Ideen in aller Regelmäßigkeit irgendeines dieser Gesetze und setzte sie konsequent in ein Bild um, woraufhin ein mehr oder weniger surreales Meisterwerk entstand. Man denke allein an die Treppe, die reih-herum geht und dabei stets nach oben verläuft.
“Antichamber“ ist in der Tat eine Art Kammer – oder besser gesagt sind es mehrere Kammern, die miteinander verbunden sind. Und bereits jetzt wird es schwierig mit der weiteren Beschreibung, denn diese Kammern sind nicht einfach in Reih und Glied, auf einer ebenen Fläche oder in einem konventionellen Raum angeordnet. Es ist völlig normal, wenn ihr hier einen ewig langen Schacht hinunter stürzt, nur um nebenan einen vielleicht drei Meter hohen Fahrstuhl zu betreten, der euch zurück zum Ausgangspunkt hievt. Oder dass ihr eine Abbiegung entlang marschiert, euch herumdreht, zurück lauft und ihr plötzlich in einem völlig anderen Raums steht, als jenen, den ihr just zuvor verlassen hattet.
Eine Geschichte im konventionellen Sinne gibt es ebenso wenig. Überall hängen Monitore mit kryptischen Zeichnungen herum, die ihr anklicken könnt. Daraufhin erscheint ein Spruch der Marke “Ein Weg kann weder falsch noch richtig sein. Er ist eventuell einfach nur anders.“ oder “Das Leben ist nicht dazu da, sein Ende zu erreichen.“ – letzteren Satz entdeckt ihr nach gut einer Spielstunde, wenn ihr die vermeintliche EXIT-Tür öffnet.
“Antichamber“ steckt voller solcher “Lebensweisheiten“ und versucht diese mit aller Macht in ein passendes Leveldesign umzumünzen. Und es ist so mit die wichtigste Errungenschaft des Spiels, weil der Gag die meiste Zeit über erstaunlich gut funktioniert.
Aber worum geht es überhaupt? Sprich: Was muss ich als Spieler überhaupt machen? Das wird euch nicht direkt verraten, ihr müsst es vielmehr selbst herausfinden. Am ehesten lässt sich “Antichamber“ mit modernen 3D-Denkspielen wie “Portal“, “Q.U.B.E.“ oder “Quantum Conundrum“ vergleichen. Es existieren keine Gegner oder Waffen. Ihr sollt einfach alles erforschen, was es zu entdecken gibt. Und dazu gehören nicht nur die einzelnen Kammern, sondern eben auch die Regeln, denen sie unterliegen.
Einerseits solltet ihr die Sprüche und Weisheiten beherzigen, die ihr nach und nach zu Gesicht bekommt. Wenn ihr an die Decke starrt, dort ein “Schau nicht nach unten.“ lest und danach trotzdem auf den Boden blickt, dann dürft ihr euch nicht darüber beschweren, dass sich der Boden auflöst und ihr in die Tiefe stürzt. Gleichzeitig möchte euch das Spiel auch ein stückweit für solche “Fehlschläge“ belohnen, indem es euch im Rahmen dieser neue Hinweise oder alternative Türen offenbart. Man könnte auch sagen: Ihr sollt “Antichamber“ Ernst nehmen und nicht Ernst nehmen – gleichzeitig.
Eine Waffe im herkömmlichen Sinne existiert wie gesagt nicht. Allerdings bekommt ihr nach ein paar Stunden zumindest ein ganz spezielles Werkzeug in die Hand gedrückt, mit dem ihr kleine bunte Klötze á la “Minecraft“ aufnehmen sowie platziert. Die Rätsel, die euch in diesem Zusammenhang abverlangt werden, bilden ganz klar den konventionellen Anteil von “Antichamber“. Gleichwohl müsst ihr auch hier mehr als nur auf das Offensichtliche schauen und ständig herumexperimentieren sowie überlegen, wie ihr das folgende Puzzle austricksen könnt. Letztlich möchte euch das Spiel genau dies suggerieren: Dass ihr mit eigens erdachten, intelligenten Methoden eine Lösung findet und ein Problem aushebelt. Das erinnert mich phasenweise an ein Spiel, bei dem es eben nicht diesen einen, von den Entwicklern gewählten, konventionellen Weg gibt, sondern ihr bewusst die gegebene Spielmechanik ausnutzen sollt, so als ob ihr cheaten würdet.
Somit krankt “Antichamber“ nur an einer Schwäche: Es ist teilweise hackeschwer, weil ihr ohne dieses “um-die-Ecke-denken“ nicht weit kommt. Gleichzeitig bin ich selbst von mir erstaunt, auf welch abenteuerliche Ideen mich das Spiel gebracht hat, deren Umsetzungen in der Tat funktioniert haben. Ihr habt meinen Bericht über “The Cave“ sowie meine Einleitung, was ein grandioses Rätsel sei, gelesen? Ich hätte diese auch für “Antichamber“ schreiben können, nur um es dann als ein positives Beispiel gen Himmel zu loben.
Alle weiteren “Schwachstellen“, die der eine oder andere ankreiden könnte, begeht “Antichamber“ ganz bewusst oder sind völlig vernachlässigbar. Keine Story, keine Action, keine Hi-End-Grafik: Das Spiel mutet auf den ersten Blick wie eines dieser experimentellen Puzzlespiele an, die euch im Regelfall eine Handvoll Levels geben und bereits nach ein oder zwei Stunden vorbei sind. Der Unterschied: “Antichamber“ ist ein vollwertiges Produkt, das jeden von euch mindestens drei- bis viermal solange beschäftigen wird. Hinzu kommt ein wahnwitziger Abwechslungsreichtum, der fast schon “Braid“-Ausmaße annimmt. Sprich: Nahezu jedes Rätsel ist anders als die anderen, während Wiederholungen Ausnahmeerscheinungen sind.
Wo andere Entwickler zunächst zaghaft mit einer Demo ausgetestet hätten, ob so etwas wie “Antichamber“ überhaupt machbar wäre, da schöpft Mastermind Alexander Bruce gleich aus den Vollen. Und damit katapultiert er sich von 0 auf 100 zu einem der gewitztesten Spieleregisseure der Neuzeit, der Ende 2013 einige Preise entgegen nehmen darf. Ich glaube jedenfalls nicht, dass “Antichamber“ bis dahin in Vergessenheit geraten ist.
Ich glaube ich bin kaputt.
Ich finde Antichamber tatsächlich eher so mittel. Ja, kreativ und tolle Ideen, aber auch ein ziemliches Flickwerk dem Struktur fehlt. Bisschen wie bei FEZ, sobald man Welten baut in denen XYZ-Achsen zur Darstellung nicht mehr ausreichen, muss man sich etwas einfallen lassen um das ganze zu strukturieren. Das klappt in Antichamber (wie bei FEZ) nur sporadisch und was ein paar mal ganz witzig ist, wird schnell zum ziellosen herumirren bei dem man die gleichen trostlosen Räume wieder und wieder und wieder durchquert. Ich hatte anfangs gehofft dass die Farben helfen, aber die folgen wohl eher der Willkür des Autoren.
Die Rätsel haben mich auch nicht durchweg begeistert. 100000 Dank für mehrere Lösungen und nicht jeden Quatsch tot-erklären, auf der anderen Seite sind dann “Rätsel” mit unsichtbaren Passagen und Veränderungen der Levelgeometrie die eher willkürlich als clever wirken und die “Öffne Türmechanik mit Würfel”-Rätsel in der zweiten Hälfte häufen sich extrem. Ja, da sind auch immer wieder Varianten dabei, aber meistens läuft es auf Würfel-generieren und durchschieben hinaus.
Das lustige ist natürlich, jeden meiner Kritikpunkte kann man wunderbar kontern: Das ist Absicht. Das soll so sein. Gettin’ you out of the compfort zone. Das kann ich aber nur bis zu einem gewissen Grade akzeptieren vor allem weil ich den Eindruck habe dass mich das Spiel in den Stellen die Struktur haben viel stärker packt, als in den Passagen dazwischen.
Ganz ehrlich – mich schreckt das Spiel auch irgendwie ab. Antichamber ist in meinen Augen genauso reissbrettartig wie ein Blockbuster, nur halt Indie. So etwas wie “Retrovirus” ist mir da viel sympathischer.