David Cage und seine Firma Quantic Dream drehen interaktive Filme für die Konsole. Zuerst “Fahrenheit”, dann “Heavy Rain” und jetzt “Beyond: Two Souls”. Cage will das ganz große Gefühlskino und hat deshalb für sein letztes Spiel die Hollywood-Stars Ellen Page und Willem Dafoe engagiert. An spielerischen Inhalten ist Cage nicht interessiert.
“Carrie” trifft “Nikita” trifft “The Darkness” trifft “Splinter Cell” – so in etwa könnte ich das inhaltliche und, nun ja, spielerische Konzept von “Beyond: Two Souls” umschreiben. Von Geburt an wird die kleine Jodie Holmes von einem Geist namens “Aiden” begleitet. Mit ihm kann sie sich aus ihrem Körper lösen und allerlei Schabernack treiben. Das geht nicht immer gut, und so verfrachten sie ihre Adoptiveltern in ein Forschungslabor des CIA. Dort freundet sie sich mit dem Wissenschaftler Nathan Dawkins an. Natürlich bleibt ihr Talent der Regierung nicht verborgen. Nach einigen Jahren wird Jodie zur Elite-Agentin ausgebildet, die für die CIA ein paar schmutzige Aufträge ausführt. Irgendwann meldet sich ihr Gewissen und sie haut ab. Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte, denn insgeheim bastelt Nathan an einem Portal zur “Infraworld”, einer Geisterwelt. Das geht natürlich schief und Jodie ist die Einzige, die dieses Loch zwischen den Welten wieder stopfen kann.
Alles schon mal gehört? Wahrscheinlich. Diese Story schwankt zwischen Stephen-King-Verschnitt, sensiblen Psychodrama und “Räuberpistole”. Es ist ein buntes Potpourri bekannter Plots und Themen wie Coming-of-Age, Schuld und Sühne, erste Liebe und Verrat. Nichts ist hier originell und Autor Cage versucht dies mit einer achronologischen Erzählweise zu kaschieren, die mal Anfang der 1990er populär war. Mal spielt die Handlung in der Gegenwart, dann in Jodies Kindheit und oft irgendwo dazwischen. In den besten Momenten entsteht bei dieser epidosenhaften Struktur das Bild einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beisst, meist wirkt es aber verwirrend. Zweifelhafte Höhepunkte: als Jodie indianische Geister vertreibt (Was hat das mit der Story zu tun?), sie in James-Bond-Manier ein chinesisches Militärlabor in die Luft jagt (Die rote Gefahr!) und die Story das Klischee des “Mad Scientist” zelebriert. In Hollywood landen solche Stoffe entweder als aufgeblähter Christopher-Nolan-Blockbuster in der Jahres Top 10 oder direkt im DVD-Regal.
Zugegeben, für ein Spiel ist das trotzdem die volle Packung. Das Problem: “Beyond” will krampfhaft anders sein. Ähnlich wie in “Heavy Rain” haben die Macher kleinste Bewegungen der Figuren zur Spielmechanik erkoren. Je nach Situation dreht sich die Figur im Bett um, nimmt sich etwas zu trinken oder setzt sich hin. Das könnte jetzt interessant werden, wenn ich mit Jodie die Welt erkunden könnte. Doch weit gefehlt. Die Entwickler haben einen sehr limitierten Weg vorgegeben. So stoße ich schnell an Grenzen, die für ein Spiel, das gerne so anders sein will, sehr altbacken sind. Richtig falsch fühlt sich das Werk dennoch nur an, wenn es von den ruhigen Momenten, wie etwa einer Episode unter Landstreichern, zur Triple-A-Action wechselt. Zielen, schleichen, Shoot&Cover? Geht doch auch mit Knopfdruck!
Eine Stärke solcher interaktiver Filme sind die Konsequenz ihrer spielerischen Entscheidungen. Bei “Beyond” sollen diese zu mehr als 20 unterschiedlichen Enden führen. Im Gegensatz zu “The Walking Dead” steht Jodie aber selten vor bewussten schicksalhaften Entscheidungen. Soll sie die Wahrheit erzählen oder lügen? Küssen oder nur umarmen? Wartet ihr zu lange, übernimmt das Spiel eure Entscheidung. Der große Vorteil ist, dass ihr ganze Passagen dieses Films erleben könnt, ohne einen Finger zu krümmen. Der Nachteil: Was soll’s? Kurz gesagt, es wirkt so, als ist es ziemlich egal, was ihr mit Jodie macht. Ein “Game Over” werdet ihr nie sehen. So fehlt es an dem, was ein Spiel auszeichnet: dem Prinzip von Herausforderung und Belohnung. Ihr braucht keine Übung, um das Spiel zu meistern, denn ihr werdet mit Jodie nie scheitern. Noch in “Heavy Rain” war dies vergleichsweise unwichtig, weil es im Ansatz radikaler war. Ein verstörendes Psychodrama hatte niemand als großen Mainstream-Titel erwartet. “Beyond” kokettiert aber bewusst mit den großen Action-Schwarten und muss sich diese Kritik gefallen lassen.
Dies wirft auch ein Problem auf, bei dem ich mir selbst nicht schlüssig bin. So packend “Beyond” ist – es traut seiner “Heldin” nichts zu. Wie die berüchtigten “Helikopter”-Eltern schwebt ihr über Jodie und nehmt ihr jede Bewegung und jede Entscheidung ab. Hauptsache, ihr geschieht nichts. Indem Jodie scheinbar unfähig ist, kleinste Aufgaben nicht ohne eure Hilfe zu bewerkstelligen, entmündigt das Spiel seine Hauptfigur und die Spieler. Dadurch könnt ihr das Spiel auf zwei Arten deuten: Einerseits als unglaubhaftes Porträt einer traumatisierten Killerin mit übernatürlich Fähigkeiten oder andererseits als die tragische Geschichte eines kleinen Mädchens, dass nie erwachsen geworden ist. Einer Frau, die selbst mit Mitte 20 noch gehegt und gepflegt werden muss, weil sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Entscheidet selbst. Dass “Beyond” aber diese Fragestellung anbietet, ist mehr wert, als so manch anderer Blockbuster, sei es als Film oder als Spiel.
Vorab, ich werde mir, genau wie Heavy Rain, den Titel irgendwann mal günstig kaufen.
Interessant finde ich, wie stark Beyond polarisiert. Die Wertungen in der Spielepresse sind oft vernichtend, viele Kritiker in Spieleforen können mit so einem “Spiel” nichts anfangen. Während die Spieler, die es bereits selbst gespielt haben, in Foren meist schreiben, dass sie den Titel wirklich toll finden.
Ich denke wirklich, wer eine spannende Geschichte mit toller Grafik erleben möchte, der kann sich Beyond zulegen, wer mehr Wert auf ein wirkliches Spiel legt, der sollte einen großen Bogen darum machen.
Und genau deswegen, weil Beyond sich jeglichen spielerischen Bewertungsschemata entzieht, sind gerade hier die Wertungen in der Spielepresse so nichtssagend wie selten. Entweder so eine Story und so ein Spielkonzept gefällt einem oder eben nicht. Eine Qualitätsaussage wie: “Das ist ein schlechtes Spiel”, verfehlt einfach das Thema, denn genau darum geht es bei Beyond nicht.
PS: Ich erinnere mich immer noch so gerne an Omicron: The Nomad Soul. Eine offene Spielwelt in der man nicht sterben konnte, gepaart mit einer spannenden Cyberpunk Story. Nur die Spielsequenzen, sprich insbesondere Ego-Shooter Einlagen, waren schon damals aber sowas von für die Tonne.
Also Fahrenheit fand ich super und habs gleich zwei mal durchgespielt. Heavy Rain nur 1mal aber auch das fand ich toll. Genervt haben mich nur einige Quicktime Events. Aber das gehört zu nem Spiel dazu, das irgendwas nervt.
Beyond würd ich mir auch gern ansehen, aber 70tacken sind mir einfach zu viel für nen Film. Ja, ich seh die Dinger eher als die Evolution von Filmen als denn die von Spielen.
Daher stimmt ich Spiritogre zu, dass man hier andere Wertungen anlegen muss.
Im Vergleich zu Genre-Vorzeigetiteln wie “Heavy Rain” oder “The Walking Dead” fällt “Beyond” deutlich ab, sei es als Spiel oder als Film. Es beginnt noch ganz interessant, aber spätestens am Ende ist die Geschichte auf Michael-Bay-Niveau.
Dass mit der fehlenden Herausforderung/Belohnung solltet ihr nicht unterschätzen. Während ich in “Walking Dead” oder sogar in “Heavy Rain” ständig vor gravierenden Entscheidungen stehe, plätschert “Beyond” einfach so dahin. Schon möglich, dass es da mehreren Enden gibt. Interessieren sie mich? Nö. Vielleicht liegt es in meinem Fall daran, dass ich das Konzept von “Heavy Rain” – Logiklöcher hin oder her – wesentlich mutiger und reizvoller fand, als ein x-beliebiges Action Feuerwerk.
Also liegt es daran, dass dir die grundlegende Geschichte nicht gefällt?
Heavy Rain ist ein Psychothriller um einen Serienmörder – Beyond ist Mysterydrama.
Wenn man Mysterydramen nicht mag, dann wird man Beyond nicht mögen. So wie Leute die keine Horrorspiele/-filme mögen, keinen Spaß an Outlast, EvilDead u.ä. haben.
Den Michael Bay Eindruck hatte ich überhaupt nicht. Und ich find Michael Bay Filme ziemlich mies.
Von dahinplätschern kann eigentlich auch keine Rede sein, denn spätestens ab der Obdachlosenmission haben Entscheidungen direkten Einfluss.
Oder mal anders gefragt: Was genau ist an Heavy Rain mutiger?
Ich sehe da nicht so große Unterschiede zwischen Psychothriller und Mystery. Inhaltlich und dramaturgisch liegen die sogar sehr eng beieinander.
Allerdings hat mir die Story wirklich nicht gefallen. Da waren sehr gute Ansätze, wie etwa die Obdachlosensequenz. Andere waren wiederum furchtbar klischeehaft, wie etwa die Party (“Carrie”) oder diese unsägliche Indianerepisode, die nichts im Spiel zu suchen hatte, ausser du wählst am Ende…aber du weißt schon;-)
Die Action-Sequenzen waren inhaltlich und spielerisch das Schlimmste, was ich in der letzten Zeit gespielt habe. Am Anfang der Geschichte hat sich Cage noch relativ viel Zeit für die Figuren genommen und am Ende hat er den Holzhammer rausgeholt. Wenn der Autor die Stimmung und das ruhige Tempo des Anfangs beibehalten hätte, wäre “Beyond” in meinen Augen ein wesentlich besseres Erlebnis geworden. So ist es in meinen Augen nur ein “Carrie made by Michael Bay”.
“Heavy Rain” fand ich mutiger, weil es einerseits einen Psychothriller zum Gegenstand eines Triple-A-Spiels erkoren hat und andererseits die vier spielbaren unterschiedlichen Charaktere bot. Aus dieser choralen Erzählweise haben sich enorm viele Varianten ergeben, vom Happy-End bis zur Katastrophe. Hier wollte ich wirklich sehen, was passiert, wenn ich mich jetzt für dies oder jenes entscheide. Kurz, es war dramatischer (auch wenn einiges im Rückblick unlogisch war). Dieses Gefühl hatte ich bei “Beyond” nie. Es ist in seinem Ansatz und seiner Erzählweise sehr konventionell und klaut bei zahlreichen Vorbildern. Nichts hat mich überrascht.
Nichtsdestotrotz schätze ich es sehr wohl, dass hier ein “Spiel” versucht, anders zu sein. Das ist natürlich auch mutig, aber letzendlich leider nicht konsequent durchgeführt.
Hum okay dann haben wir zum einen wohl ein völlig unterschiedliches Verständnis von Psychothriller und Mystery und zum anderen bestärkt das für mich nur den Verdacht, dass die Beyond Story einfach nicht deinen Geschmack getroffen hat. (Wie du ja sagst, sie gefällt dir nicht).
[Für mich besteht der gravierendste Unterschied im Element des Übernatürlichen, der dem Mysterygenre inhärent ist, im Psychothriller aber nichts verloren hat. Als Beispiel aus der Filmwelt: Die Neun Pforten als Mystery und Sieben als Psychothriller. Oder the sixth sense als Mystery und Das Schweigen der Lämmer als Psychothriller]
Dass du dich so sehr an der Indianerepisode aufhängst versteh ich trotzdem nicht. Die war genauso sinnvoll wie die Obdachlosenepisode oder die Afrikaepisode. Denn alle Episoden sind dazu da Jodies Charakterentwicklung fortzuführen und der Erklärung hinter Aiden ein Stück näher zu kommen.
Auch deine harsche Kritik an den Action Sequenzen kann ich nicht nachvollziehen. Wie kommst du auf den Michael Bay? Worin bestehen v.a. spielerisch die Unterschiede zwischen HR und Beyond? Gerade die Kampfsequenzen sind doch nahezu identisch!
Die unterschiedlichen Charaktere in HR kann man durchaus mit den unterschiedlichen Lebensabschnitten von Jodie paralellisieren. Denn auch eine Kleinkind Jodie bietet ein anderes Spielerlebnis und stellt einen anderen “Charakter” da als die CIA Geheimagentin Jodie.
Was Klischees und Klauen-von-Vorbildern angeht nehmen sich die beiden Spiele auch nichts. HR hat genauso abgekupfert (hier nochmal: Sieben oder Blade Runner oder Minority Report) und hat genauso Klischeefiguren und – situationen (der heruntergekommene Ex-Cop als Privatdetektiv, die taffe, sexy Reporterin, der drogenabhängige Agent).
Ohne jetzt ständig fangirlmäßig dagegen zu argumentieren: Ich denke es liegt bei dir wirklich an der Geschichte. Und das ist ja nichts schlimmes. Ich find ja auch manche Stephen King Bücher super und andere total scheisse – obwohl Kings Schreibstil, Figurenzeichnung und Storyverlauf fast immer gleich sind.
Aber dann sollte man es auch so benennen (was du ja schon machst) und nicht krampfhaft irgendwelche vermeintlichen Fehler suchen (was du leider auch machst).
Ich denke, bei David Cages Spielen ist es aufgrund des vehement vorherrschenden filmischen Erzählens noch entscheidender worum sich die Story dreht als bei den herkömmlichen Spielen. Bei denen kann trotz schwacher Story immer noch die Game-Mechanik überzeugen. Als Beispiel hier vielleicht Vanquish oder die ganzen Military Shooter. Story ist Schmuh aber spielerisch top. (Was halt für mich dann gar nichts ist. Ohne halbwegs interessante Story geht bei mir nichts).
Für mich ist Beyond das Spiel des Jahres (vor The Last of Us und Bioshock). Für dich wohl eher nicht ;)
Vielleicht überzeugt dich ja von der Geschichte Cages nächstes Projekt wieder mehr.
Ich bin erst bis zum Ende der Indianer Episode gekommen, kann die meisten Kritikpunkte aber im Ansatz gut nachvollziehen. Auch mir hat Heavy Rain sehr viel besser gefallen und zumindest in meiner Erinnerung waren bei HR die Auswirkungen meiner Handlungen als Spieler auf den Verlauf der Geschichte stets nachvollziehbar, während es sich bei Beyond eher so anfühlt, als würde man nach jeder Szene einen Tipp bekommen, was man vielleicht beim nächsten Durchspielen anders machen könnte.
Aber mal abgesehen von der Kritik: Was ich dem Spiel hoch anrechne ist die Möglichkeit es zu zweit zu spielen und dass das Mitspielen auch “nicht Gamern” (wie z.B. den vielzitierten Freundinnen oder Ehefrauen…) durch eine einigermaßen zugängliche Steuerung (z.B. via Tablet) und fehlenden Zeitdruck nahe gebracht wird.
Hierauf wurde offensichtlich in der Entwicklung viel Wert gelegt und ich finde für diese Anstrengung verdient das Spiel wirklich ein großes Lob! Schade, dass das bisher kaum erwähnt oder gar positiv aufgegriffen wird. Für alle, die mal statt fernzusehen mit Freund oder Freundin zusammen etwas spielen wollen ist das Spiel meiner Meinung nach ein echter Geheimtipp!