Mark Wahlberg sagt: “We have a tie!“ und alle Oscar-Blogger weltweit: “KREISCH!!!“. Oder besser: “SCHEISSE, MEIN TIPPSCHEIN!!“
Wenn ihr mit irgendjemanden über die Oscar-Verleihung reden solltet und dieser jemand den Patt in der Kategorie Tonschnitt als größte Überraschung bezeichnet, dann wisst ihr: Ihr habt einen echten Geek vor Augen. Zwei Sieger für den gleichen Preis: Das gab es in der Geschichte der Academy Awards bislang nur fünf Mal und einmal davon in einer Zeit, als drei Stimmen Unterschied ebenfalls zu einem offiziellen Unentschieden führten.
Man nimmt ja alles, was man kriegen kann. Denn ansonsten waren die Gewinner doch recht vorhersehbar, trotz des Nominierungschaos’. Der Produktionsdesign-Oscar für “Lincoln“ kam vielleicht noch aus dem Nichts, aber sonst? Nun, ich möchte mich darüber nicht wirklich beschweren, denn immerhin bekamen endlich sämtliche Statistik-Narren für ihre sture Verbohrtheit eins auf den Deckel: “Argo“ hat das “Unmögliche“ geschafft und den “Best-Picture“-Preis ohne “Best-Director“-Nominierung erhalten. Damit hat die Vernunft ein gutes stückweit gesiegt, denn es wäre einfach schwachsinnig, wenn solche Film wirklich gar keine Chance hätten. Dann könnte man nämlich gleich die entsprechenden Kandidaten aus dem Stimmzettel streichen.
Die Frage ist: Wie lange wird Ben Affleck damit “glücklich“ sein? Aus allen Ecken und Kanten kriechen sie bereits hervor, die Lästerer, welche die Oscars als rein politisch motiviert sehen und deren Wahl schlicht und ergreifend “Falsch!“ sei. Die einen sagen: “Lincoln hätte gewinnen müssen, das Drehbuch von Tony Kushner ist doch so gut!“. Die anderen behaupten: “Life of Pi ist ein Meisterwerk sondergleichen, ein unverfilmbares Buch wurde verfilmt!“. Und wieder andere meinen: “Ist doch alles Hollywood-Scheiße und Selbstbeweihräucherung. “Liebe“ ist der wahre Sieger.“. Deren kollektive Mutmaßung, weshalb “Argo“ gewonnen habe? Aus Mitleid – weil Ben Affleck eben als Regisseur nicht nominiert war. Im Kreis laufen ist sinnvoller als solche Diskussionen, sag ich euch.
Ich mag es nicht mehr hören. “Argo“ ist nicht meine erste Wahl, aber definitiv ein würdiger Gewinner in einem beeindruckenden Filmjahr. Der Film lebt von seiner cleveren Prämisse, die natürlich über-dramatisiert, aber eben genau aus diesem Grund so packend auf die Leinwand gebannt wurde. Ich sehe es inzwischen so: Hätte er verloren, dann wären nun dessen Fans motzig und trotzig. Man kann es eben nicht allen Recht machen, wenn am Ende nur ein Sieger auf dem Podium stehen soll (meist, zumindest…) – schlicht weil es nicht DEN EINEN BESTEN FILM GIBT… Jesus.
So kann ich mich auch über Ang Lee freuen, obwohl ich persönlich nicht einmal wüsste, ob er auf meinem Nominierungsstimmzettel seinen Platz gefunden hätte (was allein an der starken Konkurrenz liegt). Aber, meine Güte: Standing Ovations für den Mann aus Taiwan! Was hat der Kerl stets für ein saublödes Oscar-Pech gehabt: Für “Sinn & Sinnlichkeit“ nicht nominiert – bei “Tiger & Dragon“ den DGA Award gewonnen, jedoch als einer der wenigen Ausnahmen daraufhin den Oscar verloren – und für “Brokeback Mountain“ zwar endlich, endlich prämiert, unterlag der Film (halb) überraschend beim sicher geglaubten Best-Picture-Triumph. Und jetzt das: Die Academy-Mitglieder haben ihn in der höchst Prestige-trächtigen “Best-Director“-Kategorie nicht nur vor Steven Spielberg gewählt, sondern entsprechend mit tosendem Applaus gefeiert. Ein grandioser Mann, der jede Auszeichnung verdient.
Sämtliche Schauspielerpreise gehen vollends in Ordnung, wenn auch man sich bezüglich Christoph Waltz ewig streiten wird, ob das in “Django Unchained“ nun wirklich eine Nebenrolle war. Daniel-Day Lewis (“Lincoln“) und Anne Hathaway (“Les Misérables“) sollten aufgrund ihrer Brillanz als Gründe ausreichen, warum so eine Verleihung eigentlich ein Muss für unsere Gesellschaft ist. Jennifer Lawrence wiederum ist bereits für viele Oscar-Watcher das Hassobjekt des Jahres, woran man sieht, wie kurzlebig dort gedacht wird. Vor zwei Jahren noch als das neuentdeckte Independent-Girl bejubelt, kriegt sie nun dank ihres Oscars für “Silver Linings Playbook“ von allen Seiten verbale Hiebe. Ich weiß bereits jetzt schon, dass es fortan unendlich viele Vergleiche mit Gwyneth Paltrow (“Shakespeare in Love“), Julia Roberts (“Erin Brokovich“) oder Sandra Bullock (“The Blind Side“) regnen wird. Diese Kategorie ist anscheinend verdammt dazu, dass ihre Preisträger aus (in meinen Augen) meist unfairen Gründen immer und immer wieder als unwürdig bezeichnet werden. Zumindest geht Lawrence völlig selbstbewusst mit ihrer Rolle als das derzeitige “It-Girl“ um, zeigt in der Pressekonferenz ausgelassen den Stinkefinger und gibt geschickt Contra bei dämlich gestellten Fragen. Kudos von meiner Seite an die Frau.
Ein Großes “Hurra!“ verteile ich noch an die Auszeichnungen für “Paperman“ (für mich der wahre Best-Animated-Picture-Preisträger des Jahres 2012) und natürlich an Adele und Paul Epworth, deren epischer “Skyfall“-Song ein No-Brainer war. Ganz ehrlich: Wenn ich all mein “Ich steh über der Verleihung“-Gehabe für einen kleinen Moment vergessen hätte, dann wenn die beiden verloren hätten (ich kenne das Gefühl noch vom letzten Jahr, siehe Emmanuel Lubezki). Gleichzeitig resultierte die zugehörige Live-Aufführung in einem halben Fiasko. Ich weiß nicht, ob es an irgendeiner Nervosität seitens Adele oder an der schlechten Tonabmischung lag: Die Power ihrer Stimme ging völlig unter und der ganze Auftritt wirkte unbeholfen wie steif.
Dies ist umso bedauerlicher, weil sämtliche andern “Music-&-Musical“-Nummer außergewöhnlich gut klangen – und damit schließe ich das bereits höchst umstrittene “Les-Miserables“-Medley mit ein. Ich liebe solche Kanons und war völlig von den Socken. In dem Zusammenhang spreche ich ein Dank an die Verantwortlichen aus, die Jennifer Hudson zurück auf die Bühne brachten und damit alle Oscar-Motzer daran erinnern konnten, warum die Frau vor sechs Jahren für “Dreamgirls“ zu Recht einen Oscar bekam. Ähnliches Lob gibt es für die Auswahl von John Barrys unvergleichlichem “Out-of-Africa“-Thema, das der “In-Memorian“-Sektion die würdige Klasse garantierte.
Bleibt die Frage: Worüber habe ich mich nicht gefreut? Seth MacFarlane, “Worst Host Ever..“.? Nein, ich mach nur Spaß: Der Junge war nicht der beste Moderator der Oscar-Verleihung, den ich bislang gesehen habe (das ist und bleibt für mich weiterhin Hugh Jackman), aber er war über weite Strecken lustig und teilweise gefährlich nahe an der „Political Un-Correctness“, die der Academy eigentlich ein Dorn im Auge ist.
Der Eröffnungsmonolog war außergewöhnlich lang, aber dafür voller Ideen. Zu den Highlights zählten William Shatner alias Captain Kirk, der aus der Zukunft kam, um MacFarlane eben vor dem Fiasko des “Worst-Host-Ever“-Urteils zu bewahren, und der damit zusammenhängende Kurzfilm, einer “Flight“-Parodie mit Socken als Handpuppen anstatt echten Schauspielern. Von der Idee her ebenfalls süß, aber letztlich viel zu ausufernd: der Boobs-Song, bei dem MacFarlane persönlich über nackte Brüste berühmter Hollywood-Frauen sinnierte. Da war für mich lange Zeit Stirnrunzeln angesagt… bis zum Kate-Winslet-Part, um ehrlich zu sein (hö hö). Ähnlich zerrissen hat mich die Idee, laberlastige Dankesredner mithilfe der berüchtigt-bedrohlichen “Der-weiße-Hai“-Musik von der Bühne zu chassen. Es wirkte schon ein wenig respektlos… aber auch irgendwo total geil.
Ernsthaft: Was hat mir nicht gefallen? Roger Deakins verliert gegen Claudio Miranda in der Kategorie für die beste Kamera. Zum einen mutet jede weitere Niederlage für Deakins immer schmerzlicher an. Zum anderen steckt die Academy-Verleihung in einer hausgemachten Krise: “Life of Pi“ ist nach “Hugo“ und nach “Avatar“ der dritte Cinematography-Gewinner innerhalb von vier Jahren, bei dem man sich ernsthaft fragen muss, inwiefern die CGI-Kulisse die eigentlich honorierte Arbeit geschönt sowie beeinflusst hat. Freilich wird gleich dagegen argumentiert, dass auch ein VFX-getränkter Film einen versierten Kameramann benötige, damit z.B. das ganze Licht- und Schattenverhältnis stimme. Aber trotzdem: Es fühlt sich einfach nicht richtig an. Und dieses Thema wird erst so richtig brisant, wenn irgendwann mal ein Schauspieler für eine Tränendrüsen-Szene siegt und sich im Nachhinein herausstellt, dass das Geheule aus dem Computer kam…
Apropos Computer: Ich hab’s gewusst! “Ralph reicht’s“ verliert gegen “Merida“! Und weil ich mit beiden Filmen sowohl meinen Spaß als auch meine Sorgen hatte, ist es mir persönlich ziemlich wurscht. Doch, oh weh – das liebe Internet wird es anders sehen. Pixars Film wird auf ewig das “Unwürdig!“-Brandzeichen tragen, genau wie Jennifer Lawrence… und “Argo”… und Chris Terrio als einer der beiden Drehbuchsieger… und… eigentlich doch im Endeffekt alle, oder?
Das heißt… darf ich dann auch ganz persönlich über einen Preisträger motzen? Ja? Danke, hier, bitte schön: Quentin Tarantino. “Django Unchained“ ist in den ersten beiden Dritteln ein grandioser, typischer Tarantino-Streifen, der aber nach einer ganz gewichtigen Schlüsselszene einfach nur noch konfus und viel zu überzogen auf mich wirkte. Gleichzeitig ist mir die eigentliche “Auflösung“ zu “billig“ – und deshalb sehe ich den Drehbuchpreis, den Tarantino letzte Nacht gewann, mit gemischten Gefühlen. Doch bevor hier jemand die Messer wetzt: “Unwürdig“ wäre ein ganz anderes Kaliber…
Unterm Strich also ein gelungener Abend für mich und damit ein missratener für alle anderen. Denn wenn ich nach etwas die Uhr drehen kann, dann das jetzt wieder über die Schlechtigkeit des Moderators, die missratene Pace der Veranstaltung sowie die mies gewählten Sieger geätzt wird. Alles ungerecht, alles unwichtig, alles gekauft, alles politisch, alles scheiße. Bla-bla, yada-yada. Wer solch einer Meinung ist, der sollte einfach das Thema Oscars zu den Akten legen. Und du, mein lieber Leser, scheinst dies nicht so zu sehen. Sonst hättest du nicht bis zum letzten Absatz durchgehalten…
Sämtliche Gewinner der 85ten-Oscarverleihung:
Bester Film: Argo
Beste Regie: Ang Lee (Life of Pi)
Bester Hauptdarsteller: Daniel Day-Lewis (Lincoln)
Beste Hauptdarstellerin: Jennifer Lawrence (Silver Linings Playbook)
Bester Nebendarsteller: Christoph Waltz (Django Unchained)
Beste Nebendarstellerin: Anne Hathaway (Les Misérables)
Bestes Original Drehbuch: Django Unchained
Bestes Adaptiertes Drehbuch: Argo
Bester Filmschnitt: Argo
Beste Kamera: Life of Pi
Beste visuelle Effekte: Life of Pi
Bestes Produktionsdesign: Lincoln
Beste Kostüme: Anna Karenina
Bestes Make-Up & Hairstyling: Les Misérables
Bester Ton: Les Misérables
Bester Tonschnitt (Patt): Zero Dark Thirty / Skyfall
Beste Musik: Life of Pi
Bester Song: Skyfall
Bester fremdsprachiger Film: Liebe
Bester Kurzfilm: Curfew
Bester animierter Film: Merida
Bester animierter Kurzfilm: Paperman
Bester Dokumentarfilm: Searching for Sugar Man
Bester Dokumentarkurzfilm: Inocente
Bin ich eigentlich der Einzige, der das Gefühl hatte, dass Ben Affleck “high” war? :) Der überschlug sich ja fast beim sprechen…
Bei der Dankesrede ist mir noch nichts aufgefallen, aber die Presse-Befragung danach ist ein kleines Highlight für sich. Grant Heslov kann noch normal reden, Ben Affleck hingegen ist auffallend “lallend” und George Clooney muss sich irgendwas richtig derbes reingepfiffen haben. Wenn der nicht mindestens total betrunken war, dann darf er gleich einen weiteren Oscar für diese schauspielerische Leistung mit nach Hause nehmen ;)
Zeig mal einen Link zu dem Interview! ;-)