2012: Das Jahr der wahren “Killer”-Spiele.

28. Dezember 2012

Da sage noch mal einer, der Job als Spielekritiker sorge für keine langfristigen Schäden: Ich hatte in diesem Jahr meinen ersten Traum als… Auftragskiller! Immerhin wusste ich die ganze Zeit über, dass das hier nicht echt ist, sondern eben nur ein Spiel. So wurde ich am Schluss geschnappt und regte mich darüber auf, dass diese “Szene“ sichtlich geskriptet sei.

Sei’s drum: Um den Traum zu verarbeiten, werde ich hier und heute über echte “Killer“-Spiele schreiben. Schließlich gab es von September bis November passend vier Titel für die Meuchelmörder unter uns, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Verschwörung der Industrie, uns gefügig zu machen und uns endlich von den “Call of Duty“s dieser Welt zu locken? Nun, ich denke da eher an Meister Zufall…

“Mark of the Ninja“… “Dishonored“… “Assassin’s Creed 3“… “Hitman: Absolution“: Um diese Kandidaten geht es. Allein die jeweilige Entstehungsgeschichte ist erstaunlich vielschichtig, schließlich haben wir einen Überraschungs-Independent-Hit der “Shank“-Jungs, einen gefühlt ewig in Entwicklung steckenden Triple-A-Blockbuster, den Abschluss einer vor fünf Jahre beginnenden Saga sowie die umgekrempelte Fortsetzung einer nicht enden wollenden Serie. Nachdem mir persönlich das Jahr 2012 so viele Enttäuschungen auf den Tisch gelatzt hat, kann ich zumindest dieser “Killer“-Gruppe freudig auf ihre Schultern klopfen und sagen: Es hat Spaß gemacht, gemeinsam mit euch zu morden – also, so mehr oder weniger.

Thief, rollende Köpfe, Comic-Steampunk

Ich fange mal mit dem meiner Meinung nach makabersten Detail an: In “Dishonored“ ist es Gang und Gebe, einem Gegner den Kopf abzuschlagen. Ein sauberer Schnitt, kein weiterer Schrei und höchstens ein dumpfes “Bumpf“ sowie ein leises “Klonk-klonk-klonk“, wenn Körper wie Kopf zu Boden fallen – effektiver töten geht nicht. Das Pikante: Ihr könnt das gleiche Schicksal erleiden und erlebt dies dank Ego-Perspektive erschreckend realitätsnah. Während euer Alter Ego in den Sterbeszenen der anderen Titel konventionell zusammen sackt, “fällt“ hier die Kamera gen Boden und dreht sich mehrfach um 360° – da hält man sich instinktiv schon mal die Hand schützend vor den Hals.

Überhaupt ist “Dishonored“ das Spiel, welches mit neuen Akzenten glänzen möchte. Viele Fans beschreiben es zwar als wahren “Thief“-Nachfolger, allein weil es die Schleich-Mechanik gelungen mit der Ego-Sicht mixt. Doch darüber steht ein außergewöhnliches Szenario, deren Gebäudearchitektur zahlreiche Elemente vom Mittelalter bis zur Moderne mischt. Im Kern müsste man es ganz klar als Steampunk bezeichnen, jedoch in einer Form, die ihr so noch nicht in einem Videospiel gesehen habt. Ebenfalls interessant ist der Comic-Touch: Während die Geschichte sehr ernst ist und für viel Drama sorgt, sehen die Charaktere eher so aus, als ob sie entfernt verwandt mit der “Team Fortress 2“-Bande seien.

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Dishonored: Das könnte Garrett jedenfalls nicht… (Bild: Bethesda Softworks)

Als treuer Gefolgsmann eurer Regentin seid ihr wenig amüsiert darüber, dass sie vor euren Augen abgeschlachtet und ihre Tochter entführt wird. Zudem sollt ihr auch noch als Sündenbock herhalten – da stapeln sich schnell die Rachemotive. Zum Glück könnt ihr euch befreien und seid sehr geschickt beim Umgang mit Schwert und Bogen. Dazu hilft eine übersinnliche Komponente, mit der ihr eure Gegner durch die Luft wirbelt oder euch wie via Fingerschnipsen von A nach B teleportiert. Spätestens da bekomme ich die Klagen befreundeter Spieler zu hören: Das sei kein forderndes Schleichspiel mehr, wenn man sich einfach hinter einen Gegner beamen könne. Ähnliche Kritik widerfährt der Zielmarker, der euch das “Killer“-Leben zu simpel machen würde. Wobei die Reaktion der begeisternden Fans umso erstaunlicher ist: Die stellen den Marker einfach ab. In der heutigen Zeit, wo doch die halbe Welt nach Ego-Schlauch-Shooter dürstet, machen es sich die “wahren“ Spieler bewusst schwerer…

Glatzkopf

“Hitman: Absolution“ ist ebenfalls so ein Kandidat, bei dem man sagen könnte: Mein Gott, ist das simpel – aber nur, wenn ihr keinen hohen Score verlangt. Schließlich ist noch lange nicht Schluss, wenn ihr mal entdeckt oder gar verfolgt werdet. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten der Gegenwehr oder der Flucht sind groß. Nur hagelt es saftigen Punktabzug, sobald euch der Feind sichtet. Und der wird so plakativ in Form von Minuspunkten dargestellt, dass ihr euch aus Prinzip denkt: “Pah, das muss auch anders gehen.“ Fluchs startet man den alten Spielstand und probiert es erneut, diesmal mit dem festen Willen, unentdeckt zu bleiben.

Heimlich, still und leise - aber sichtlich nicht immer. (Foto: Square Enix)

Heimlich, still und leise – aber sichtlich nicht immer. (Bild: Square Enix)

Prompt steigt der Schwierigkeitsgrad von zahm auf respektvoll. Gleiches gilt für den Spielspaß, der somit auch die eher maue Geschichte kaschieren kann, in der es eigentlich nur darum geht, Protagonist Agent 47 eine Existenzberechtigung zu geben. Zudem solltet ihr keine Angst vor Try & Error haben: In manchen Fällen ist es einfach nicht möglich im Vorfeld zu erahnen, wie der/die Gegner agiert/-en. Das mag nach einem Ärgernis klingen, jedoch nutzen es die Spieldesigner immerhin konsequent aus, um euch möglichst viel Abwechslung zu bieten. Sprich: Hier kommt ihr nicht in jedem Level mit der immer gleichen Methode voran. Ihr müsst (!) ab und an geschickt Gegner ablenken, deren Laufrouten abwarten oder euch verkleiden. Phasenweise fühlte ich mich wie beim Lösen von Adventure-Rätseln – wohl deshalb hat mir dieser “Hitman“ (zudem der erste, den ich persönlich ausführlich gespielt habe) auch so gut gefallen.

Connor in Amerika

Die andere Fortsetzung einer inzwischen ebenso recht umfangreichen Serie gehörte zu den meist erwarteten Spielen des Jahres 2012. “Assassin’s Creed 3“ sollte nicht nur seinem Namen gerecht werden, sondern endlich die groß angelegte Desmond-Story abschließen. Ohne weiter ins Detail gehen zu wollen: Die Auflösung ist sensationell misslungen. Nicht nur, dass sämtliche Gegenwart-Szenen völlig zusammenhanglos wie willkürlich erscheinen – am Ende habe ich wirklich nicht verstanden, warum da eine uralte Zivilisation einen dermaßen riesigen Heckmeck betreibt, weshalb ausgerechnet dieser eine Bengel, der ohne Recht auf Widerspruch zum Superassassinen gezüchtet wurde, den Weltuntergang verhindert. Ich meine: Da verstreuen die über Jahrhunderte hinweg irgendwelche kryptischen Geheimnisse und Hinweise, dank derer Desmond die drohende Katastrophe abwenden zu vermag. Und am Ende frage ich mich ernsthaft: Wozu der Zirkus? Hätte nicht eine direkte Nachricht an irgendwen plus einer fetten Maschine mit der Aufschrift “Bitte hier drücken, um Katastrophe abzuwenden“ genügt? Wobei mich die extrem lieblose Inszenierung am meisten stört – “dahin gerotzt“ wäre noch ein Lob.

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Assassin’s Creed 3: Das wäre Ezio nie passiert… (Bild: Ubisoft)

Zum Glück gibt es neben Desmond noch den neuen Hauptcharakter Connor, dessen Geschichte ihr mittels des allmächtigen Animus nacherlebt. Noch viel aufregender ist das im Vergleich zu den Vorgängern völlig anders geartete Setting, welches da heißt: Amerika. Verabschiedet euch von engen Straßen und hohen Türmen, dafür gibt es jetzt dichte Wälder, stürmische Schiffsfahrten sowie bleihaltige Schlachten. Von Ast zu Ast klettern ist in der Tat etwas anderes, als von Haus zu Haus jumpen. “Assassin’s Creed 3“ ist insofern mit “Dishonored“ zu vergleichen, weil ein Großteil des Reizes durch das neue Szenario zustande kommt – und weniger, weil irgendwo im Kern die Revolution der Videospielkonzepte steckt. Die Handlung rund um Connor ist ebenso wenig ein Meilenstein, aber im Gegensatz zum Desmond-Blödsinn angenehm erzählt.

Die Unterschiede zu den anderen “Killer“-Spielen dieses Artikels liegen klar auf der Hand: Genau wie die Vorgänger möchte euch “Assassin’s Creed 3“ eine große, sowie im wahrsten Sinn des Wortes “neue“ Welt als Spielwiese zur Verfügung stellen, die mehr als eine Aneinanderreihung schnöder Storymissionen bietet. Rein vom Umfang her gelingt dies auch, dank klassischer Nebenquests, dem Sammeln von einzelnen Buchseiten bis hin zur schnöden Tierjagd. Doch trotzdem… der Lack ist irgendwie ab. Spätestens jetzt rächt sich der hohe Ausstoß an Spinoffs, dank derer ich jedes Jahr einmal “Assassin’s Creed“ spielen durfte. Und trotz der vielen Dinge, die diesmal “anders“ sind, ging dabei der Reiz verloren, all die Nebenjobs zu erledigen oder die volle Synchronität bei den Missionszielen zu erreichen.

KILLLLLLLLLLLLLLL

Man könnte auch sagen, dass hier dann doch der “Blockbuster Fluch 2012“ zugeschlagen hat: “Assassin’s Creed 3“ dürfte das am aufwändigsten produzierte Spiel des genannten Viererpacks sein und trotzdem ist es meiner Meinung nach das relativ gesehen schlechteste. Im Umkehrschluss müsste demnach “Mark of the Ninja“ die Konkurrenz in Grund und Boden stampfen – was manche “Killer“-Spieler in der Tat auch so sehen.

Denn es braucht anscheinend nicht mehr als zwei Dimensionen, um das ultimative “Schleich’n’Kill“-Spiel auf die Beine zu stellen. Klei Entertainment, vormals bekannt durch die beiden eher dumpfen “Shank“-Actionspiele, gibt mir einen klassischen Ninja, der aufgrund seiner Agilität in jede Zirkustruppe passt. Egal ob an Decken klettern, durch Lüftungsschächte krabbeln oder auf dünnen Pfosten balancieren: Alles geht mit einer derartigen Leichtigkeit von der Hand, man fühlt sich von Beginn an wie der versierteste “Killer“ aller Zeiten. Ihr könnt eure Gegner entweder hinterrücks erdolchen, euch geschickt an ihnen vorbei schleichen oder manchmal auch die Umgebung snutzen, indem ihr beispielsweise die Kette eines Kronleuchter absäbelt, der wiederum direkt über zwei bedauernswerten Figuren hängt.

Während rein vom Hören her der 2D-Faktor wie ein Nachteil klingt, nutzt Klei Entertainment gnadenlos jeden Vorteil der Einschränkung. Durch die klassische Seitenperspektive habt ihr im Vergleich zu den anderen “Killer“-Spielen einen völlig anderen Überblick über die Umgebung, weshalb ihr all die Möglichkeiten direkt vor euren Augen seht und euch voll auf die Ausführung eures Mordplans konzentrieren könnt. Gleichwohl wird es euch nicht zu leicht gemacht, weil Bereiche nur schemenhaft dargestellt werden, die euer Ninja von seiner derzeitigen Position aus nicht direkt sehen kann.

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Mark of the Ninja: Damit hat der strenge Rezensent nach “Shank” nicht gerechnet… (Bild: Klei Entertainment)

Die akustische Problematik haben die Jungs ebenfalls mit Bravour gelöst: Es braucht keine Surroundanlage, um Geräusche von links, rechts, oben, unten, vorne, hinten, Mitte, außen, innen, was-weiß-ich zu orten. Sämtliche relevanten Töne (darunter auch die Schritte eurer Gegner) werden in Form von Kreisen dargestellt, die mehr oder weniger deutlich auf dem Bildschirm aufblitzen – je nach Lautstärke, die sie suggerieren sollen. All diese Elemente harmonieren dermaßen prächtig miteinander, dass ihr die praktisch nicht-existente Geschichte problemlos verschmerzt und euch von der ersten Spielminute an wie “mittendrin“ anstatt “nur dabei“ fühlt.

Somit ist mein kleiner Streifzug durch die Welt der wahren “Killer“-Spiele beendet. Meine primäre Intention (neben der Traumbewältigung): Endlich mal wieder über etwas Gutes berichten, in der derzeit ach so gebeutelten Welt. Wenn schon etwas unter so viel Leid und Pleiten funktioniert, dann das heimliche Morden am Computer oder an der Konsole. Mein sekundäres Verlangen: Ich wollte eigentlich diese vier Titel miteinander vergleichen und gegenüber stellen. Doch erst beim Schreiben fiel mir auf, dass dies aufgrund der Unterschiede schwer möglich ist und es mehr Sinn macht, mithilfe der einzelnen Stärken die Vielschichtigkeit des Sub-Genres zu erörtern.

“Dishonored“ mag zum Aushebeln der eigenen Spielmechnanik verführen, dafür ist die “Killer“-Darstellung schonungslos und das Setting ungemein faszinierend. “Assassin’s Creed 3“ landet Bruch bei der Desmond-Handlung, punktet jedoch ebenfalls mit einer wahrlich “neuen Welt“ und bietet nach wie vor den größten Freiraum für Erkundungsfreudige. “Hitman: Absolution“ schreit regelrecht nach Try & Error und schränkt den Spieler am meisten bei seinen Optionen ein, nutzt aber diese starre Agenda geschickt für ein abwechslungsreiches Leveldesign. Und im Falle von “Mark of the Ninja“ lassen sich Vor- und Nachteile auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren: 2D. Die Sicht ist für verwöhnte “Call-of-Duty“-Kiddies sicherlich ein No-Go, doch bietet gerade sie dank der brillanten grafischen Darstellung der Geräuschekulisse ein völlig neues Spielerlebnis.

Und wem all dies zu viel Schleicherei und Meuchelei ist, der kann sich trotzdem die Militär-Shooter-Riege 2012 sparen und sollte lieber den Rambo in “Far Cry 3“ raushängen. In diesem Sinne: Tod allen “Call of Duty“s!

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