Ach, liebe Kinder – mein erster Text zu “Halo 4“ war Mist. Einfach dummer Mist. Deshalb schreibe ich einen zweiten, von Grund auf neu. Eigentlich wollte ich so tun, als ob der offiziell vierte Teil des Franchise-Riesen im Vorfeld zum Scheitern verurteilt gewesen sei und nun zu Überraschung “aller“ etwas Vernünftiges bei heraus gekommen ist. Doch das wäre dem Ergebnis nicht fair gegenüber gewesen. Wo ich auf der einen Seite in der Tat ernüchternde Schwächen feststellen muss, da zieht es mir in anderer Hinsicht die Contra-Argumente unter den Füßen weg.
Rein das Leveldesign betrachtet ist es wieder ein gewöhnlicher Shooter ohne große Errungenschaften. Ich rate jedem unsicheren Kollegen, der den Unterschied zwischen einem “Half-Life“ und einem “Halo“ nicht erkennt, das Verfassen von Guides. Während euch beim einen bis zum Schluss immer neue Tipps sowie interessante Taktiken einfallen, gehen euch beim anderen schlichtweg die Worte aus. Ihr wiederholt euch immer häufiger und neigt gegen Ende mehr zu Standbeschreibungen, welche Gegnermenge mit welchen Waffentypen euch im nächsten Raum erwarten – mit dem leidlichen Kommentar “Verfahrt wie zuvor.“.
Auch “Halo 4“ tappt in diese Falle. Die Serie ist und bleibt ein Garant für spielerische Abwechlsungsarmut. Dort ein weiterer Gang, hier ein neuer Raum, das war’s. Die Anzahl der grundlegend (!) verschiedenen Gegnertypen ist erdrückt niedrig, dafür versucht man den Spieler mit unterschiedlichen Konstellationen sowie anderen Waffen bei der Stange zu halten. Das funktioniert insoweit, dass ihr nicht nach vier von acht Kapiteln die Flinte ins Korn werfen wollt. Doch wie wäre es mal mit einem richtigen Endboss? Oder seicht-leichten Rätseln? Vielleicht einem Kampf, der sich nicht wie eh und je auf einen mittelgroßen Raum mit unzähligen Deckungsmöglichkeiten verlässt? Das Einzige, was in “Halo“ vom Shooter-Einerlei ablenkt, ist die Steuerung eines Fahr-, Flug- oder Raumschiff-… äh… zeugs. Und auch dieser Aspekt ist nach vier Episoden sowie zwei sehr nah daran gebauten Spinoffs dezent ausgelutscht, um es einmal vorsichtig zu formulieren.
Als alternder Rezensent wollte ich schon die Hände reiben und mich vor allem über den Entwicklerwechsel auslassen. Hand aufs Herz: Wie viele Filmfortsetzungen kennt ihr, für die mal so mir nichts, dir nichts ein Großteil der Crew ausgetauscht wurde und die trotzdem das Niveau des beliebten Vorgängers halten konnten? Der Wechsel vom versierten Bungie zum extra für “Halo“ gezüchteten 343 Industries kam mir höchst suspekt vor. Mehr Arbeitsauftragsmentalität geht wirklich nicht.
Und was soll ich sagen? Irgendwie hat der Clou dann doch funktioniert. Zum einen hält 343 Industries an den bewährten Stärken der Serie fest, allen voran der nach wie vor unnachahmlichen Spielbarkeit. Kaum ein anderer Shooter fühlt sich so gut an, egal ob es das Laufen, das Springen, das Schießen, das Nachladen, das Ausweichen, das Schutzschildhandling oder der kurze Klick auf die Nahkampftaste ist, mit der ihr einem direkt vor euch stehenden Gegner mittels Kolben eins über die Rübe zieht.
Zum anderen, und jetzt kommen wir zur eigentlichen Sensation, hat es 343 Industries geschafft, einen vormals eher belächelten Aspekt in die Top-Ten-Riege des Jahres zu kicken: der Story. Diese knüpft direkt an den losen Cliffhanger des dritten Teils an, der den Master Chief praktisch allein in einem verlassenen Raumschiff durch das Weltall segeln ließ. Aufgrund eines unvorhergesehenen Angriffs wird er von der ihm stets treuen K.I. Cortana aus der Cryostase gerissen und muss sich gegen eine feindlich gesinnte Gruppe der Allianz zur Wehr setzen. Dieser vermeintlich langweilige Vorfall setzt eine Serie von Ereignissen in Gang, die für einen Science-Fiction-Plot dieser Art bemerkenswert clever ausgetüftelt und vor allem interessant erscheint.
Über dem Story-Konstrukt stehen ein paar der best-geschriebenen Dialoge der Videospielgeschichte. Ich meine das völlig ernst: Der verbale Austausch zwischen dem Master Chief sowie der Besatzung der Infinity-Station ist beängstigend authentisch. Zum allerersten Mal habe ich das Gefühl, dass der Mann mehr als nur ein hoch gezüchteter Söldner ist, der sich hinter seinem anonym wirkenden Anzug versteckt. Einige der späteren Ereignisse wirken hoch dramatisch und sind herausragend in Szene gesetzt. Die grafische Qualität der vorgerenderten Menschen in den Zwischensequenzen stellt einen neuen Meilenstein der Technikkunst dar und steht erstklassigen wie realen Schauspielern in Punkto Ausstrahlung, Körpersprache, Gesichtermimik kaum mehr nach.
All dies wird durch die Beziehung zwischen dem Master Chief und Cortana noch getoppt. Von Anfang bis Ende spürt ihr eine ungewöhnliche Chemie zwischen den beiden, die eine ungeheure Kraft und Bindung verspüren lässt. Es ist die ultimative Liebe zwischen einem übermenschlichen Soldaten, der rein für den Kampf erschaffen wurde, und einer programmierten K.I., die eigentlich gar keine Gefühle haben dürfte. Der Zusammenhalt der beiden geht vielleicht über viele Freundschaftsbanden, die ich zuvor in Filmen oder Spielen gesehen habe. Und die eigentliche Sensation dabei ist: Es ist nicht einen Millimeter abgedroschen oder kitschig. Nun gut, vielleicht die letzte Szene zwischen den beiden… aber soviel musste wohl dann doch sein.
Alles andere verkommt zur Nebensache. Die großartige Grafik überrascht mit einer Szenerie, die ihr gar nicht mehr von der alten Xbox 360 erwartet hättet. Der Sound hingegen entpuppt sich für mich als die einzige Enttäuschung von “Halo 4“. Einerseits liegt dies sicherlich daran, dass dies Bungies Paradedisziplin war und sich ein entsprechend hoher Standard ins Gehirn eingeprägt hat. Andererseits bin ich sauer, inwieweit die Verantwortlichen mit der Musik von Neil Davidge umgehen. Hört euch zunächst sein offizielles Album an: Das gleicht phasenweise einer kleinen Sensation, speziell der abschließende Track “Green and Blue“ ist durch und durch meisterhaft. Aber im Spiel selbst geht viel von dieser Brillanz unter. Die Musik wird viel zu leise gespielt (und lässt sich auch nicht mit einem separaten Lautstärkeregler pushen) und von den Minuten langen Suites, die auf der CD zu hören sind, kommt gerade mal ein Bruchteil zum Einsatz. Über weite Strecken verzichtet das Spiel gar völlig auf eine Musikbegleitung und vertraut einzig auf den Einsatz von Soundeffekten.
Sei’s drum: “Halo 4“ ist rein vom Spieldesign her betrachtet ein mittelmäßiger Shooter, dessen Spaßfaktor immens von der unnachahmlichen Spielbarkeit der Serie profitiert und durch einen gewaltigen Qualitätsschub in Sachen Story zu den Hits des Jahres 2012 gehört. Ich hatte wirklich allein aufgrund des Entwicklerwechsel mit einer mittelschweren Katastrophe gerechnet – nach “Ninja Gaiden 3“, “Resident Evil 6“ oder “Kinect Star Wars“ wäre es nicht die erste der jüngeren Vergangenheit gewesen. Doch manchmal kann einen dann doch ein Profit geleiteter, wie millionenschwerer Konzern überraschen. Und dabei habe ich mich bislang vom Multiplayer-Modus noch fern gehalten…
Kaufen die meisten das Spiel nicht NUR wegen Multiplayer? Und dazu *ein* Wort. ;)
Kaufen sie? Na, das bezweifle ich mal. Zumindest ich kenne einige Leute, die auch nur die Solo-Parts der CoD-Spiele spielen – und mehr nicht….
Darauf gehen doch andere Magazine genug ein. Wäre doch langweilig, wenn wir das auch machen würden ;-)
Mir ist Multiplayer wumpe.
Danke Andreas für diesen tollen Artikel. Muss ich gleich mal teilen :)
Nachdem ich Forward unto Dawn gesehen habe, wurde ich richtig ein wenig heiß auf das Spiel. Der Film ist einfach super, auch wenn er in der ersten Episode ein wenig langsam in die Gänge kommt.
Ehrlich gesagt, habe ich allerdings noch kein einziges Halo gespielt. Zwar habe ich mal günstig eine alte X-Box gekauft, da war das allerdings nicht bei und Einzelspiele habe ich mir nie geholt, obwohl ich da schon ein paar wüsste baer irgendwie lohnt es sich nicht so wirklich. Und da ich einen ganzen Konsolen-Fuhrpark habe, zickt meine bessere Hälfte momentan ein wenig rum, wenn ich verkünde, ich hätte gerne endlich doch mal eine 360 … schade, werde ich wohl noch ein paar Jährchen warten müssen. Aber dann, irgendwann!