Postapokalyptischer Horror – das ist nun wahrlich kein besonders origineller Plot in unserer heutigen Zeit voller Missmut und Depressionen. Auch in der Welt von “Lone Survivor“ ist fast die gesamte Menschheit entweder tot oder zu schrecklichen Monstern mutiert – mit der Ausnahme des Protagonisten. Fantastisch hierbei ist die Umsetzung, die sich gegen allerlei Konventionen des modernen Videospielmarktes stemmt.
Wie hätte “Silent Hill“ auf dem C64 ausgesehen? “Lone Survivor“ gibt eine wage Antwort auf diese Frage. Wundert euch nicht beim Anblick der Screenshots: Das ist tatsächlich Bildmaterial eines brandneuen Spiels aus dem Jahrgang 2012. Freilich gibt es dieses nur über das Internet zu erwerben und kostet gerade mal 10 $ – oder welch wahnsinniger Publisher würde sich trauen, diese groben Pixel auf eine Coverrückseite zu drucken?
Ihr seid der “Lone Survivor“, der sich dem Namen nach als letzter Überlebender einer nahezu völlig ausgestorbenen Welt wähnt. Ihr startet in seiner Wohnung, arbeitet euch durch das mehrstöckige Gebäude drumherum und sucht anschließend in den Straßen eurer Stadt nach… tja, nach einer anderen Menschenseele, einem Stück Hoffnung, einem Quäntchen Mut. Doch vorrangig findet ihr irgendwelche entstellten Mutanten, die euch nach dem Leben trachten. Ihr könnt euch entweder in einer Nische vor ihnen verstecken oder sie mit einer Handfeuerwaffe, die ihr irgendwann ergattert, abknallen. Allerdings ist Munition rar, weshalb ihr niemals blind um euch schießen solltet.
Das Leveldesign ist auf den ersten Blick strikt linear, offenbart jedoch auf lange Sicht einen ganzen Batzen voller Abkürzungen. Diese sind auch dringend notwendig, denn ihr müsst stets zurück zu eurem Appartement marschieren, um dort ein Nickerchen zu halten sowie euren Spielstand zu sichern. Zudem hängen überall Spiegel herum, die euch auf wundersame Weise zurück in euren eigenen Flur teleportieren – nur eines von vielen Elementen, die der eigenwilligen Logik der Spielwelt eine eigene Atmosphäre aufdrücken.
Nach und nach schließt ihr zahlreiche Türen auf, die die gesamte Umgebung immer verschachtelter erscheinen lässt. Auch müsst ihr einige Objekte ausfindig machen und Adventure-Like an der richtigen Stelle einsetzen (z.B. eine Sicherung plus etwas Benzin, um einen Generator in Gang zu kriegen). Soweit könnte man noch von einem stinknormalen Action/Adventure reden, doch “Lone Survivor“ geht eine ganze Ecke weiter. So benötigt ihr alle paar Minuten etwas zum Essen, wozu euch zahlreiche Lebensmittel zur Verfügung stehen. Dabei sollte klar sein, dass ein warmes Essen mehr Nährwert besitzt als eine Tüte Cracker. Für erstere Speise müsst ihr zuvor den hauseigenen Ofen mit Gas versorgen und einen Dosenöffner zum, ja, äh, Öffnen der Dosen besorgen.
Ein weiteres interessantes Spielelement stellen die Pillen dar: Mit der roten könnt ihr euch wach rütteln und somit eine Schlafpause aussetzen. Bei den blauen sowie grünen hingegen wird euer Alter Ego müde und träumt anschließend davon, eine von zwei mysteriösen Figuren zu “besuchen“. Die eine gibt euch nach einem kurzen Plausch ein paar Patronen für eure Waffe ab, die andere überreicht euch etwas Nahrung. Gleichzeitig werdet ihr gewarnt, dass diese Pillen nur auf den ersten Blick nützlich erscheinen (aufgrund der Ressourcenaufstockung), allerdings eine hochfrequente Einnahme unangenehme Konsequenzen mit sich ziehen könne.
Die sehr schlicht gehaltene 2D-Grafik erscheint auf den ersten Blick als ungeeignet für solche eine Art von Spiel. Klar: Es sieht etwas albern aus, wenn ihr euch in einer Nische vor den Gegnern versteckt, nur weil diese anscheinend keinen Zentimeter in die Tiefe zu schauen vermag – zudem mich der Protagonist ein wenig an das Männchen aus dem C64-Klassiker “Little Computer People“ erinnert. Doch rein spielerisch funktioniert dieses simple Schleichkonzept ganz hervorragend. So ist es in den meisten Fällen euch überlassen, ob ihr euch mit den Mutierten anlegen oder ihnen aus dem Weg gehen wollt.
Die Atmosphäre ist so oder so absolut fantastisch, was der grandiosen Musik zu verdanken ist. Deren Instrumentierung bedient sich bei zahlreichen ambienten Synthi-Elementen und lebt zusätzlich von einigen hervorragend komponierten Melodien, die entweder via Gitarre oder Klavier erklingen. Liebevolle Soundtracks zu Independent-Spielen sind ohne jeden Zweifel höchst interessant, doch Jason Byrnes musikalisches Werk gehört bereits jetzt ganz klar zu den absoluten Highlights des Jahres. Da macht es dann auch wenig aus, dass es keine Sprachausgabe gibt und Soundeffekte eher rar sind. Das Spiel wirkt alles andere als ruhig und nervt niemals mit seiner Musikbegleitung – was will man mehr?
Vielleicht unterschiedliche Enden, die sich abhängig von eurem Spielverlauf bilden? In diesem Punkt wird “Lone Survivor“ besonders stark in so einigen Reviews abgefeiert, allerdings sehe ich dies etwas nüchterner. Den Erfahrungsberichten anderer Spieler zufolge scheint es nämlich “nur“ zwei, vielleicht drei verschiedene Abspanne zu geben. Das ist zwar immer noch besser als ein einzelner, doch so mancher Artikel aus den USA schwadroniert von mehr Vielschichtigkeit.
Was hingegen in der Tat den Mehrspielwert immens nach oben kickt, das ist die abschließende Statistik. In dieser wird euch auf zahlreichen Seiten mitgeteilt, wie viele Monster ihr getötet, wie oft ihr abgespeichert oder wie häufig ihr mit welcher Person geredet habt. Neben diesen trivialen Dingen kommen noch einige bizarre Details hinzu, z.B. dass ihr die Cracker mit dem Käse gemixt habt, um eine vermeintlich (!) gehaltvollere Mahlzeit zu erhalten. So werden Details angedeutet, die euch suggerieren: “Hm… ich hätte diese oder jene Situation auch anders lösen können… vielleicht sollte ich das einmal ausprobieren?“
“Lone Survivor“ ist nicht ohne Fehler. Allen voran kann es dezent frustrieren, wenn ihr euch gerade durch einen langen Gang voller Mutanten gequält habt, kaum noch Munition besitzt und am Ende in einer Sackgasse sitzend feststellt, das ihr dort ohne Objekt X nicht weiter kommt. Wobei das jetzt nicht wirklich ein “Fehler“ des Spiels ist, sondern mehr ein “Risiko“, welches ihr als Spieler eingeht. Ab und an stehen euch nun mal zwei bis drei Wege zur Verfügung und wenn ihr diese in einer ungünstigen Reihenfolge abklappert… tja, dann müsst ihr eben auch mal wieder zurück laufen oder gar sterben, um den alten Spielstand zu laden.
Das zweite Problem von “Lone Survivor“ ist die Übersichtskarte. Diese zeigt sämtliche Straßen sowie Gänge aus der Vogelperspektive, während ihr das Spielgeschehen stets von der Seite betrachtet. Sprich: Ihr könnt dort nur nach links oder nach rechts marschieren, während aneckende Gänge sowie Räume in Form von Türen oder Eingängen dargestellt werden. Zum einen ist es schwer zu erkennen, ob eine solche/ein solcher nach “vorne“ oder nach “hinten“ führt.
Zum anderen gibt es keinerlei Konsens bezüglich der Himmelsrichtungen, in die ihr laufen könnt. Will heißen: In manchen Gängen marschiert ihr zu eurer Linken nach “Westen“ sowie zu eurer Rechten nach “Osten“, in anderen hingegen ist es genau andersherum. Abschließend ist die Klötzchen-Retrografik im Spiel selbst überraschend atmosphärisch und wirkungsvoll, jedoch auf der Übersichtskarte stören die groben Pixel und sorgen anfangs für mehr Orientierungslosigkeit – zumindest erging es mir so.
Unterm Strich sind dies vernachlässigbare Fehler, an die ihr euch schnell gewöhnt oder die ihr aufgrund der anderen Stärken lächelnd in Kauf nehmt. Ich kann nur sagen, dass mich das Spiel von A bis Z enorm überwältigt hat und auch ein paar meiner Freunde, die knapp anderthalb Stunden zuschauten, ebenfalls beeindruckte. Einer davon ist mit seinen 24 Jahren gar so “jung“, dass er die alte C64-Zeit kaum mitbekommen hat. Und welch Lob könnte ein grafisch auf “alt“ getrimmtes Spiel mehr verdienen?
“Lone Survivor“ profitiert immens von der beklemmenden Atmosphäre und der Identifikation mit der eigenen Spielfigur: Ihr leidet und ihr hofft mit dem einsamen Überlebenden, dies in jeder Sekunde und ohne Pause. Vielleicht mag der eine oder andere von euch den Sinn hinter den surrealen Ereignissen (wozu nebenbei erwähnt auch das Ende gehört) hinterfragen – aber sie tragen definitiv dazu bei, dass ihr dieses Horror-Abenteuer nicht so schnell vergessen werdet.
Großartiges Spiel!
Ich kann den Soundtrack übrigens ebenfalls nur empfehlen. Hach!
Ich mag solche kleinen Spiele eigentlich, aber wie ich schon unter einen anderen Artikel hier schrieb, gerade das wäre etwas für Handhelds. Auf dem kleinen Display stört die Grafik nicht, wirkt oft sogar sehr knuddelig. Auf meinem Computermonitor oder LCD-TV ist mir das aber viel zu krümelig. Da möchte ich “berauscht” werden durch die visuelle Darstellung. Und genau das können so kleine Spiele nicht. Ich denke dann immer, ich hätte mal lieber eines meiner unzähligen noch rumliegenden “richtigen” Spiele zocken sollen.