Prügelspiel, Beat em up, Brawler – es gibt einige Ausdrücke für das Genre in dem sich Streets of Rage 4 von Lizardcube bewegt. Alle Namen sagen letztlich das Gleiche aus: Hier fliegen die Fäuste (und Beine, und Ellbogen und Knie). Brawler sind zu Zeiten der Arcade-Automaten groß geworden, hatten viele Iterationen auf den Konsolen der dritten und vierten Generation und verloren spätestens ab der Generation von Playstation 2 und Co. stark an Bedeutung. Seit Anfang der 2000er gibt es zwar immer wieder einzelne Indie-Games wie Viewtiful Joe oder Castle Crashers, die das Genre kurzzeitig ins Rampenlicht zurückholen. Aber allgemein fristen 2D-Beat Em Up Games eher ein Schattendasein. Umso erstaunlicher, dass Streets of Rage 4 jetzt solche hohen Wellen schlägt.
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Die Spielereihe – auch unter dem Namen Bare Knuckle bekannt – startete 1991 mit den drei Hauptfiguren Axel Stone, Blaze Fielding und Adam Hunter, die den bösen, superreichen Verbrecherboss Mr. X aufhalten müssen. Der hat die Stadt mit Hilfe seiner Armee an Schlägern und durch die Bestechung der Polizei ins Chaos gestürzt und kontrolliert alles. Der Plot wiederholt sich in den beiden folgenden Teilen und auch in Sachen Spielelemente ändert sich wenig.
Der vierte Teil setzt die Reihe in jeglicher Hinsicht fort. Zehn Jahre nachdem Mr. X endgültig besiegt wurde machen sich seine beiden Kinder daran, die Stadt Wood Oak City unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch sie bringen die Polizei durch Bestechung auf ihre Seite und wollen mit Hilfe von Gehirnwäsche durch elektronische Musik die absolute Herrschaft an sich reißen. Also treten Axel und Blaze, unterstützt von den zwei neuen Mitstreiter*innen Floyd Iraia und Cherry Hunter, auf den Plan um ein weiteres Mal die Stadt und ihre Bewohner*innen zu retten und die Straßen wieder sicher zu machen. Der Plot ist leider eine verpasste Chance: Anstatt hier ein Zeichen zu setzen, vielleicht sogar politisch Stellung zu beziehen, bekommt man einen 0815-Action-Plot vorgesetzt. Schade.
Die 12 Etappen in Streets of Rage 4 bieten viel Abwechslung in Bezug auf Szenerien, interaktive Objekte und Kontrahent*innen. Die klaren, cartoonesquen Linien des visuellen Stils unterscheiden sich sehr von dem niedrig aufgelösten, körnigen Pixel-Look des Originals und die handgezeichneten HD-Charaktere und -Hintergründe machen einiges her, vollgepackt mit witzigen Details und Eastereggs. Die einzelnen Levels sind jedoch ziemlich stereotype Beat-’em-up-Schauplätze – eine Biker-Bar, Abwasserkanäle, Hinterhöfe, U-Bahnfahrten, Aufzüge oder Chinatown. Auch die Spielmechaniken sind weitestgehend dem alten Standard entsprechend, was Fluch und Segen gleichermaßen ist. Durch die relativ simple Steuerung, hat man sehr schnell den Bogen raus. Eine Taste für’s Zuschlagen, eine Taste für’s Springen, eine Taste für Spezialangriffe und eine Taste für den neuen Sternangriff. Letzterer ist ein Ultimate-Move der extrem hilfreich ist, man muss jedoch die nötigen Sterne einsammeln und wenn man sie benutzt fehlen einem am Ende des Levels wichtige Punkte für die Bewertung. Denn Punkte sind wichtig, um neue Figuren und Bonus Inhalte freizuschalten. Das audio-visuelle Gamedesign funktioniert hervorragend, sogar der einfache Standard Punch fühlt sich kraftvoll an. Die Lichteffekte und der treibende Soundtrack geben dem Spiel ein frisches, action-geladenes Spielgefühl.
Das Problem der eher konservativen Spielemechaniken ist aber, dass es sich oft unfair und archaisch anfühlt, gerade auf höheren Schwierigkeitsstufen. Während Gegner blocken und auch vertikal angreifen können, haben wir als Spieler*innen diese Möglichkeiten nicht. Deswegen ist die Devise oft das monotone Wiederholen der immer gleichen Moves. Auch die Figurenauswahl ist ein zweischneidiges Schwert. Während die modernen Figuren zu Beginn divers gestaltet sind (2 Männer – 2 Frauen – 2 People of Color – 2 Weiße) frönt man im späteren Verlauf zu sehr der Nostalgie und kann lediglich Figuren aus früheren Streets of Rage Teilen freischalten. Das führt dazu, dass man am Ende 4 Varianten von Alex und Blaze hat. Auch wenn es nett ist, dass auch andere alte Figuren wie Eddie Skate Hunter, Max Thunder oder Dr. Zan im Spiel sind, mehr neuere Figuren wären lohnender gewesen.
Das fällt einem allerdings nur dann auf, wenn man Streets of Rage viel und länger am Stück spielt. Am besten funktioniert das Spiel aber tatsächlich als kleiner Snack. Ein durchschnittliches komplettes Durchspielen von Anfang bis Ende dauert etwa zwei Stunden. Die einzelnen Level also etwa 10 Minuten. Das lässt sich gut mal eben machen. Wem Punkte nicht so wichtig sind, der kann beim Scheitern eines Levels auch die Startboni wie mehr Leben oder Sterne erhöhen. Streets of Rage 4 ist da ein bisschen das video game Äquivalent von comfort food. Die Geschichte hat nicht viel zu bieten, aber ist man gerade von der realen Welt gefrustet, kann eine Runde Cartoon-Prügel-Gewalt helfen, Dampf abzulassen. Am besten geht das mit anderen Leuten, denn der lokale Mehrspieler-Modus unterstützt bis zu vier Teamkolleg*innen gleichzeitig. Online-Ko-Op geht zumindest zu zweit. In Zeiten, in denen viele große Spielemarken einen mit riesigen Welten, cineastischen Stories und zig Spielstunden vereinnahmen wollen, ist Streets of Rage 4 eine angenehme Abwechslung.