Für viele ist „Heavenly Sword“ sicher nur ein Spiel wie viele andere, ein „God of War“-Klon, über den es nicht lohnt, drei Jahre nach dem Release noch zu sprechen. Mein geschätzter Kollege von Texturmatsch bezeichnete das PS3-exklusive Werk von Ninja Theory sogar als etwas, was in seiner „Hass-Liste“ Platz finden würde. Ich kann das gar nicht verstehen, liebe ich doch dieses Spiel wirklich sehr. Wieso?
Es ist keinesfalls das eigentliche Spielkonzept: In „Heavenly Sword“ steuert ihr eine Heldin durch die linearen Schauplätze, um Gegner im besten „God of War“-Stil zu vermöbeln. Alles schon einmal da gewesen. Sogar die an sich launigen Missionen, in denen ihr mit Pfeil und Bogen oder gar Kanonenkugeln Feinde bzw. Geschütze in Zeitlupe zerstört, sind nicht überragend. Was ich an „Heavenly Sword“ jedoch so sehr mag, das ist das einzigartige Universum. Die Geschichte der schönen Nariko, die durch ein heiliges Schwert zwar zu einer mächtigen Kriegerin wird, aber dem Tode geweiht ist, fesselte mich damals ungemein. Und auch beim nochmaligen Spielen, und das, obwohl ich eigentlich einen riesigen Games-Stapel mit aktuelleren Titeln abzuarbeiten hätte, bestätigt sich für mich: „Heavenly Sword“ war früher und ist auch heute etwas Großes. Der fiese König Bohan, grandios gespielt von Andy „Gollum“ Serkis, ist geradezu ein Vorzeige-Bösewicht, der das magische Schwert um jeden Preis verlangt und dafür sogar Narikos Vater entführt. Er bringt die Story schnell in Fahrt, die rotharige Heldin dagegen gibt sich sentimental, emotionsgeladen und dennoch selbstbewusst und aggressiv – fantastisch. Erst kürzlich erfuhr ich, dass Anna Torv ihr sowohl die englische Stimme als auch die Animationen schenkte. Die Schauspielerin mag ich zufällig sehr gerne – in der TV-Serie „Fringe“ tritt sie als FBI-Agentin Olivia Dunham auf.
Ich fühle regelrecht, wie viel Leidenschaft die Schreiber von Ninja Theory in die Charaktere und den Verlauf der wirklich bewegenden Geschichte gesteckt haben. Narikos Adoptivschwester Kai ist völlig verrückt und kann nur sporadisch – meist, wenn es darauf ankommt – einen klaren Gedanken fassen. Und die etlichen Zwischengegner sind einfallsreich und einfach glaubwürdig – in der geschaffenen Fantasy-Welt. Selten hat mich ein Spiel wie „Heavenly Sword“ allein aufgrund der Geschichte so sehr in den Bann gezogen, denn sie wirkt fast immer plausibel, obwohl sie objektiv betrachtet sicher keine Sensation ist. Aber: Durch die hervorragende Ausgestaltung der Figuren dank Motion-Capturing (und das sieht besser als bei „Heavy Rain“ aus!!) und der wunderbar dargestellten Schauplätze hinterlässt das Spiel ein Gefühl, das ich eher von gut gemachten Filmen kenne. Dass mich „Heavenly Sword“ emotional packt und mit auf eine rund fünfstündige Reise nimmt, erlebe ich bei Spielen wirklich nicht tagtäglich. Schade eigentlich.
Ich war tatsächlich ein wenig überrascht, als ich nach einer dreijährigen Spielpause wieder „Heavenly Sword“ in den Sony-Kasten einlegte. Das Spiel ist kaum gealtert und strahlt unverändert diesen einzigartigen Charme aus – kühl und bewegend, tragisch und spannend, fesselnd und tiefgründig. Da ist das zugegeben häufig stupide Kämpfen nur Mittel zum Zweck, um Nariko folgen zu dürfen. Setze ich meine rosarote Brille ab, entdecke ich selbstverständlich viele Makel, die 2010 umso schwerer wiegen: Die Tonabmischung ist bei Surroundanlagen alles andere als überzeugend, Kontrast und Helligkeit darf ich ebenso nicht anpassen. Und das Abschlachten unendlich vieler Gegner stört genauso wie der strikt vorgegebene Weg, der euch immer zu großen Bestien führt – die dann mit ihrem überaus hohen Schwierigkeitsgrad am Nervenkostüm nagen. Kann das alles so gravierend sein, wenn ich vom Anfang bis zum Schluss meine Freude mit Nariko und Kai habe? Eigentlich nicht, oder? Ich wünschte, Guillermo del Toro würde zufällig „Heavenly Sword“ entdecken. Er hätte bei der Erschaffung der Kreaturen und menschlichen Darsteller zwar nicht mehr viel zu tun, aber ein Film vom „Pans‘ Labyrinth“- Macher wäre fantastisch.
Genug geträumt, schauen wir wieder in die Gegenwart. Und dort sehe ich ein „Enslaved“, das neue Spiel von Ninja Theory. Mit einem „Heavenly Sword 2“ kann ich nicht rechnen, darum stecken all meine Hoffnungen auf ein neues Fest für die Sinne in diesem Spiel, das Anfang Oktober 2010 für PS3 und Xbox 360 in den Handel kommen wird.
„Enslaved“ hat auf den ersten Blick nichts mehr mit „Heavenly Sword“ zu tun. Klar, Andy Serkis ist wieder mit dabei, dieses Mal erhielt er von den Designern die Rolle des Protagonisten Monkey, der gemeinsam mit der Technologie-Expertin Trip vor unheimlichen Robotern fliehen muss. Endzeit, die Menschheit am Ende und ein Team wider Willen klingen für mich schon äußerst vielversprechend und reizvoll. Denke ich an „Enslaved“, kommt in mir wieder das Gefühl der Vorfreude auf – wie schon damals bei „Heavenly Sword“. Dass auch noch Profis wie Alex Garland, Drehbuchautor eines meiner Lieblingsfilme („28 Days Later“), und der vielfach ausgezeichnete Komponist Nitin Sawhney ihre Talente beisteuerten, ist für mich nur das Sahnehäubchen auf einem Spiel, das ganz oben auf meiner „Haben-Will-JETZT-SOFORT!!1“-Liste steht. Absichtlich spare ich mir das Lesen der zahlreichen Previews und das Schauen von umfangreichen Gameplay-Trailern. Denn will ich mich etwa spoilern lassen? Bei einem Spiel, das mit Sicherheit wieder viel Wert auf Storytelling und Empfindungen legt? Ich gucke mir doch auch keinen Film im Schnelldurchlauf an, bevor ich ihn mir in Ruhe zu Gemüte führe?!
Tatsache sind aber schon jetzt einige Dinge, die in mir die Ungeduld wachsen lassen: Die Animationen legen in „Enslaved“ noch eine Ecke zu, die Geschichte wird bedeutsam sein und spielerisch sieht alles nach mehr Abwechslungsreichtum aus. Und mehr Freiheiten wird es wohl auch geben, hier schielte Ninja Theory wohl Richtung „Uncharted 2: Among Thieves“ – übrigens auch ein Spiel, das ich als ganz großes Kino ansehe. Ich verwette auch meine dritte Hand, dass man bei „Enslaved“ die technischen Makel, die „Heavenly Sword“ ohne Zweifel besitzt, in den Griff bekommen hat. Schließlich sind seit dem letzten Spiel der Entwickler einige Jahre vergangen.
Um ein Ende der Schwärmerei zu finden: Ich muss nicht auf erste Wertungen von der Fachpresse hören, „Enslaved“ wird ein ebenwürdiger Nachfolger von „Heavenly Sword“, obwohl es natürlich keiner sein kann. Ich zweifle keine Sekunde an den Fähigkeiten von Ninja Theory und bin fast davon überzeugt, dass mich die Jungs und Mädels des Studios wieder für einige Stunden auf einem sehr hohen Niveau unterhalten werden. Was anderes möchte ich gar nicht, und sollte das Kämpfen wieder innovationslos sein, würde mich das nicht einmal stören. Was ich mich aber die ganze Zeit frage: Trip aus „Enslaved“ hat schon eine gewisse Ähnlichkeit mit „Nariko“. Wenn das kein Zufall ist? Oder sollte ich womöglich Angst haben? Angst, meine hohe Erwartungshaltung könnte nicht befriedigt werden?
Ui, das mit der Hass-Liste muss irgendwie gesessen haben.
Vielleicht sollte es Dich auch nur dazu animieren, Heavenly Sword nochmal zu spielen? :)
Ich kann deine Vorfreude auf Enslaved teilen: Als ich zuerst von dem neuem Projekt von Ninja Theory erfahren habe, war ich schon ziemlich aufgeregt. Zu dieser Aufregung kam seit einem ausführlichen Testspiel auf der Gamescom noch Beruhigung hinzu. Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass Enslaved ein erstklassiges und künstlerisch anspruchsvolles Spiel wird – doch ich befürchte, dass nur wenige das merken werden. Gamer haben generell die nicht immer gute Angewohnheit, alles miteinander vergleichen zu müssen. Zum Vorgänger, zu Genrevertretern, zu Meilensteinen. Es ist ziemlich schwer für ein Spiel als das da zu stehen und gesehen zu werden, was es ist: Ein inviduelles Werk, eine einzigartige Leistung von einem einzelnen Team. Daher glaube ich auch, dass Enslaved bei den Kritikern im Schatten von Uncharted 2 stehen wird – auch wenn beide Spiele per se nichts miteinander zu tun haben. Gameplaytechnische Verwandschaft muss man ja nicht bestreiten, aber ich hoffe, dass es am Ende nicht auf einen "besser als …"-Vergleich hinausläuft.
Heavenly Sword ist ein Titel, den man liebt oder hasst, aber ich denke, das spricht für den eigenständigen Charakter des Spiels. Ich habe es trotz der Defizite in der Spielmechanik auch sehr gemocht, wobei ich finde, dass damals der Uncanny Valley leider noch präsent war. Da scheint Enslaved übrigens auch einige Schritte nach vorne gekommen zu sein, denn das, was ich bisher vom dem virtuellem Schauspiel gesehen habe, fand ich deutlich überzeugender als in Heavenly Sword.
Micha, findest Du tatsächlich, dass HS mit dem Uncanny Valley zu kämpfen hatte? Also gerade als ich HS letztens erst gespielt hatte, fand ich nach wie vor die Darsteller grandios. Das größte Problem, was ich bei Videospielen allgemein sehe, sind die stets leblosen Augen – egal bei welchem Spiel. Menschen und ihre Augen scheinen wohl die größten Schwierigkeiten beim Simulieren der Realität zu bereiten.
Unabhängig davon: Enslaved (Demo) hat mich zwar ebenfalls sehr an Uncharted 2 erinnert, ich befürchte aber auch, dass es im Schatten des Naughty Dog-Spiels stehen wird. Ist aber eher ein schwierig zu beschreibendes Gefühl. Auf der anderen Seite kommen doch die Tage kaum Konkurrenz-Titel für Enslaved heraus? Allgemein denke ich schon, dass ein Vergleich, rein bezogen aufs Spielkonzept, Sinn macht -es ist ja nicht zwangsläufig etwas Schlechtes, Vergleiche anzustellen. Ein "besser als…" wäre natürlich absolut plump, logo. :)
Hey Sven, leider finde ich schon, dass HS ein wenig mit dem dunklen Tal zu kämpfen hatte, wobei dies kein Mangel von dem Spiel an sich ist, sondern sich auf alle aktuellen Spiele bezieht. Die erste Erfahrung damit hatte zumindest ich mit dem ersten Final Fantasy-Kinofilm gemacht und bis zum aktuellen Heavy Rain beobachte ich das immer wieder. Damit möchte ich nicht die Leistung der Teams schmälern, im Gegenteil: Überhaupt erst einmal mit beschränkten technischen Möglichkeiten in die Nähe von diesem Realismus zu kommen ist schon sehr beeindruckend. Ich möchte da die Zwischensequenzen der (noch japanischen) Silent Hill-Spiele ab dem zweiten Teil in Erinnerung rufen. Was damals auf der PS2 mit Silent Hill 3 und 4 geleistet worden ist, beeindruckt mich noch heute.
Trotzdem affektieren zumindest mich die Figuren nicht so sehr, wie vermutlich beabsichtigt. Um die Schleife wieder zu HS zu bekommen: Die Charaktere finde ich allesamt sehr gut gezeichnet, allen voran Kai, die mir in manchen Szenen sogar leid getan hat. Die Immersion in die Geschichte findet für mich aber hauptsächlich über den Spielverlauf statt, und über die Musik. Nur durch Zwischensequenzen in die Story einzutauchen, fällt mir etwas schwer.
Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb mir Heavy Rain nicht wirklich gefallen hat. Abgesehen von dem Problem mit den Augen, dass Du erwähnt hast, hatte ich immer das Gefühl wie bei den alten Laserdisc-Spielen Knöpfe während eines Films zu drücken, was mich nicht wirklich in die Handlung gezogen hat. Da Heavy Rain als Film gesehen dramaturgisch IMHO ziemlich mangelhaft ist, war da nur noch die tolle Musik und das klasse Art Design, das mich überhaupt gegriffen hat. So beeindruckend das Schauspiel von Heavy Rain auch sein mag, so sehr bin ich bei zwei Drittel der Figuren ins Uncanny Valley gefallen. Das löst Enslaved erstaunlicherweise wesentlich besser ;)
Huhu Micha,
hm, finde Deine Empfindungen bei HS und HR schon sehr interessant, weil ich sie nachvollziehen, aber nicht direkt teilen kann. Gerade Kai, Nariko und König Bohan fand ich fantastisch gestaltet, in Kombination mit einer meiner Meinung nach eigenständigen und zusammenhängenden Story war das für mich ein Erlebnis auf gutem Kinofilm-Niveau. Und das trotz der Augenproblematik, die übrigens richtige Animationsfilme von Dreamworks Animation, Pixar oder Sony Pictures Animation schon seit vieeelen Jahren viel besser hinbekommen als Entwicklerstudios, die das nicht einmal in CGI-Zwischensequenzen schaffen.
HR ist im Nachhinein eigentlich auch nicht mehr als das, was Du sagst. Der Vergleich mit alten Laserdisc-Spielen ist sogar ziemlich gut. :) Irgendwie hat es mich trotzdem gepackt, vermutlich aufgrund der Möglichkeiten oder der dargestellten und sehr verschiedenen Figuren. Schwer zu sagen, was die Ursache für meine Begeisterung war. Unabhängig davon seh ich aber hier mehr das "Uncanny Valley" als bei HS. Aber: Das ist wohl auch immer so ein subjektives Empfinden allgemein..ich kann z.B. mit den leblosen Augen leben (haha :) ), meine Freundin findet sowas übrigens total abstoßend…
Und Enslaved…tja..da lass ich mich mal überraschen. Die Demo find ich fantastisch! Ich verspüre, vielleicht aufgrund meines Alters, nur noch selten Vorfreude – aber Enslaved ist so ein Spiel, das ist am liebsten heute statt morgen spielen möchte. :)