Es ist einer der ersten großen Shooter der Next Gen. Mit “Wolfenstein: The New Order” reaktiviert Publisher Bethesda eine Marke, die wie keine zweite für das Symbol dummdreister Egoshooter gilt. Zum Glück für uns Spieler sitzen aber hinter dem Spiel mit Machine Games ehemalige Entwickler des Klassikers “The Darkness”, die mit “Wolfenstein” den großen Durchbruch wagen.
Was wäre wenn …
Es fängt an, wie ein 08/15-Shooter: 1946, die letzte Schlacht, das letzte Aufbäumen, das große Finale. Captain William J. Blazkowicz führt seine Truppen zum vermeintlich letzten Gefecht gegen Nazi-Deutschland und scheitert tragisch. Unser Held landet 14 Jahre im Wachkoma und wird erst Anfang der 1960er vom Widerstand reaktiviert. Das Undenkliche ist bis dahin geschehen. Deutschland hat den Krieg gewonnen, die Welt unterjocht und der perverse Wissenschaftler Dr. Totenkopf führt weiterhin seine Experimente durch. Es liegt nun an Blazkowicz, all dem Grauen ein Ende zu setzen.
Wenn sich der Spieler davon erholt, dass Held Blazkowicz nach 14 Jahren im Wachkoma immer noch so fit ist wie damals, erwartet ihn ein wohltuend altmodischer Shooter. Kein Autoheal, wenig Schlauchpassagen, viel Abwechslung. Oft müsst ihr euch durch die einzelnen Abschnitte schleichen, bevor das Actionspektakel beginnt. Da offenbaren sich die Schattenseiten des Old-School-Konzepts. Die KI der Gegner ist mehr als dämlich und starrt schon mal ein paar Sekunden eine leere Wand an. So könnt ihr die Feinde in Ruhe erledigen.
Nazi-Pulp trifft Satire
Sei’s drum, abgehakt. “Wolfenstein:The New Order” ist ein ordentlicher Shooter, vom Anspruch und der Umsetzung vergleichbar mit “Riddick” oder “Killzone 2”. Was ihn über das Niveau der Masse hebt, sind Szenario und Story, die von SF-Klassikern wie Dicks “Das Orakel vom Berge” inspiriert wurden. Das Spiel wagt einen Spagat zwischen Nazi-Pulp und Satire und ist damit Tarantinos tragikomischem “Inglourious Basterds” eher verwandt, als dem dumpfen Patriotismus-Geprahle eines “Call of Duty”. Ähnlich wie in Tarantinos Weltkriegsabenteuer handelt “Wolfenstein” von einem Haufen zu allem entschlossener Widerstandskämpfer, der für seine Sache sogar in den Tod geht.
Obwohl Spielfigur Blazkowicz aussieht wie eine Mischung aus Duke Nukem und Til Schweiger ist er nicht mehr der einfältige Haudrauf aus den Vorgängern. Vielmehr ist er ein melancholischer Actionheld geworden, der den Tod seiner Kameraden bedauert und von einer glücklichen Zukunft mit seiner Familie träumt. Zynische One-Liner finden sich selten, stattdessen philosophiert Blazkowicz (auch in der hervorragenden deutschen Synchronisation) über den Sinn dieses Kriegs. Dazu passen die restlichen Figuren dieses tragischen Action-Ensembles: ein Familienvater, der sich und die Nazis in die Luft sprengt, weil sie ihm alles genommen haben, das er geliebt hat; ein Paar, das lieber gemeinsam im Bett stirbt, als von den Nazis erwischt zu werden; Jimi Hendrix, der zu seinem großen Finale die amerikanische Nationalhymne rockt. Es sind alles Menschen, die leiden, lieben und hoffen – all das, was eine gute Geschichte ausmacht.
Next Gen oder doch eine verpasste Chance?
Trotzdem bleibt viel an der Oberfläche. Die Ansätze zum großen menschlichen Drama sind zu erkennen, aber werden oft einer geradlinigen Actiondramaturgie geopfert. Oft weht der Hauch eines Nazi-Themenparks durch das Spiel. Roboterhunde, Mechs und Supersoldaten wühlen arg in trashigen Actionfilm-Klischees und lassen den ernsthaften Hintergrund verblassen. So widmen sich die Macher nur einer kurzen Szene in einem Konzentrationslager. Das Grauen wird dort nicht gezeigt. Und so verkommt die ganze Szene zu einer billigen Effekthascherei, die eine weitere Gräueltat der Nazis routiniert abhakt. Wobei wir uns fragen können, ob da nicht mehr geplant war, da es am Ende eine deutlich ernsteren Rückblick auf diese Episode gibt.
So fehlt der Geschichte der ganz große Punch, der Tritt in die Magengegend, um uns Spieler diesen Krieg vor Augen zu führen. Es fehlt der “Suicide Corner” aus “The Darkness”: eine Welt zu zeigen, die so grausam und hoffnungslos ist, dass es einen Ort gibt, wo man freiwillig aus dem Leben scheiden darf. Entwickler Machine Games hat durch die misslungene KZ-Szene eine große Chance verpasst, um dem Spiel Tiefe und Ernsthaftigkeit zu verleihen.
Trotz dieser Vorbehalte ist “Wolfenstein: The New Order” in meinen Augen ein wegweisender Shooter mit einem konsequenten Ende. Es verbindet ein großes Action-Spektakel mit einem tiefgründigen Szenario und verzichtet auf oberflächliches Multiplayer-Geballer. Gut so, denn sonst wäre die noble Absicht der Entwickler wohl in Kill Streaks und Kiddie-Geflame untergegangen. Stattdessen hat das Spiel sein Herz auf dem rechten Fleck und bietet dem wohlwollenden Spieler Stoff zum Nachdenken. Endlich hatte ich das Gefühl, zumindest in Ansätzen so etwas wie die nächste Generation der Videospiele zu erleben. Bitte mehr davon.
One comment on “Wolfenstein – The New Order: Inglourious Basterd”